Der Maedchenmaler
endlich mit der Arbeit anzufangen. Aber ein wenig musste er sich noch gedulden.
Die Kellerräume kamen ihm kühl und abweisend vor. Er würde das mit einer freundlichen Möblierung ausgleichen müssen. Die Gitter vor den Fenstern stießen ihn ab, obwohl es geschmackvolle schmiedeeiserne Gitter waren, von einem Künstler hergestellt. Sie zeigten Jugendstilmotive, hauptsächlich Blumen, Sonne und Mond, aber Ruben konnte sich mit ihnen nicht anfreunden. Lieber hätte er auf sie verzichtet.
Kein Geräusch drang von außen herein und keins hinaus. Er hatte es ausprobiert. Der Keller war sicher. Aber ob sie sich hier wohl fühlen würde? Ein Mensch wie sie, der die Sonne liebte und das Licht? Der es nicht ertrug, eingesperrt zu sein?
»Ruben! Ich krieg keine Luft!«
Sie sind zu Besuch bei Onkel Tom. Der Bruder des Vaters bewirtschaftet einen Gutshof hoch oben im Norden.
Onkel Toms Hütte
hat Ruben ihn getauft. Tatsächlich führt Onkel Tom ein strenges Regiment. Er behandelt seine Leute schlecht und zahlt Hungerlöhne. Das jedenfalls behaupten die Leute im Dorf.
Es gibt zwei Vettern und eine Cousine. Ruben kann sie nicht ausstehn. Ellie ist dumm, Heiner und Til sind Sadisten. Sie quälen Tiere und brüsten sich noch damit. Ihr eigener Hund kneift den Schwanz ein, wenn er sie nur von weitem sieht.
Die Familie besitzt ein riesiges Stück Land mit zahlreichen Gebäuden und Stallungen. Wunderbare Orte zum Spielen gibt es hier. Sie lassen Ruben beinah vergessen, dass er Til und Heiner hasst.
Diesmal hat Ilka das Versteck gefunden, einen kleinen dunklen Verschlag im Pferdestall. Ein bisschen Streu liegt auf dem Boden, ein Eimer steht in einer Ecke, daneben lehnt eine verdreckte Kehrschaufel an der Wand.
Ilka schließt leise die Tür und kauert sich hin. Sie hält sich die Hand vor den Mund, damit ihr Atmen sie nicht verrät. Ruben lässt sich neben ihr nieder. Er fühlt Ilkas Körper dicht an seinem. Ihr Haar streift seine Wange.
Draußen hören sie die Stimmen von Ellie, Heiner und Til. Sie nähern sich und entfernen sich wieder. Sie flüstern und rufen. Leise, laut, leise. Ilka kichert. Es ist ein wehrloses, nervöses Kichern, das schnell umschlagen kann in echte Angst.
Es dauert lange. Sie haben ein gutes Versteck gefunden. Doch dann kommen die Stimmen wieder näher. Sie werden zu einem Flüstern, kreisen Ruben und Ilka ein. Ruben hört, wie Ilka der Atem stockt. Er erwartet, dass jeden Moment die Tür aufgerissen wird, begleitet von dem triumphierenden Ruf: »Gefunden!«
Stattdessen wird der Schlüssel, der außen im Schloss steckt, herumgedreht. Ein hämisches Lachen und dann das Geräusch von Schritten, die sich schnell entfernen.
Es ist stockfinster. Den dünnen Lichtstreifen, der durch den Türspalt gefallen ist, gibt es nicht mehr. Man kann die Hand vor Augen nicht erkennen.
Ruben springt auf und rüttelt an der Klinke. Er ruft. Stößt Drohungen aus. Schreit Verwünschungen hinterher. Dann tastet er sich zu Ilka zurück.
»Ruben! Ich krieg keine Luft!«
Er hört sie röcheln. Nimmt sie in die Arme. Streichelt ihren Rücken. Flüstert ihr beruhigende Worte zu. Küsst ihre Schläfen, die Wangen, das Kinn. Bis sie sich entspannt. Aufhört zu weinen. Wieder atmen kann.
So bleiben sie, bis den andern die Lust an diesem Spiel vergangen ist. Die Tür aufgeht und Licht hereinlässt. Ruben hilft Ilka hoch. Er klopft sich den Staub von der Hose. Und starrt die Vettern an mit einem Blick, der sie das Weite suchen lässt.
Für den Augenblick ist ihm das egal, denn er weiß, er wird sie finden.
Aber war es ihm nicht gelungen, sie zu beruhigen? Seine Nähe, seine Stimme, seine Berührungen, mehr hatte es nicht gebraucht, ihr die Panik zu nehmen. Das würde er auch hier für sie tun, wenn es notwendig wäre. Er würde auf sie aufpassen und sie beschützen. Niemand würde ihr etwas zuleide tun.
Natürlich wäre es ihm lieber, sie würde freiwillig zu ihm kommen. Doch die Menschen da draußen hatten ganze Arbeit geleistet. Sie hatten Ilka eine Gehirnwäsche verpasst. Sie gegen ihn eingenommen.
Was hatten sie ihr erzählt? Dass ihre Liebe verboten sei? Krankhaft? Gegen die Natur? Sie hatten ja keine Ahnung von wirklicher Leidenschaft. Hatten ihre kleinen, miesen Verhältnisse, ihre armseligen Liebschaften, steckten in ihren miefigen Ehen fest, regelten ihre Gefühle mit einem Vertrag.
Jede dritte Ehe wurde geschieden. Und darauf waren sie stolz? Darauf vertrauten sie weiterhin blind? Auf ein
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