Der Maedchenmaler
simple Tasse Tee musste man das Haus verlassen.
Imke kam an einem Secondhandshop vorbei, der geschlossen hatte. Sie sah einen Schlüsseldienst und eine ßnderungsschneiderei, in deren Schaufenster auf einer Schneiderpuppe eine senffarbene Lederjacke hing. Kein Caffee weit und breit. Das hätte sie sich denken können. Wahrscheinlich hätte sie die entgegengesetzte Richtung einschlagen müssen.
Sie hatte schon beschlossen, wieder umzukehren, als sie ein Schild mit der Aufschrift
Antikmöbel
sah. Alte Möbelstücke faszinierten sie, und sie beschloss, die paar Meter noch weiter zu laufen.
Der Schock traf sie völlig unerwartet. Mitten im Schaufenster lag ein ausgestopftes weißes Pferd. Es lag auf dem Rücken, die Beine seltsam verdreht von sich gestreckt, die schwarzen Augen weit offen. Auf seinem Bauch hatte man ein Mokkageschirr drapiert, die Kanne und zwei der sechs Tassen umgekippt, völlig abstrus, pervers, ohne irgendeinen erkennbaren Grund.
Imke merkte, wie ihr Magen sich zusammenzog. Sie wandte sich ab und lief los, so schnell es die Glätte auf dem Gehsteig erlaubte. Es war wie ein böses Omen. Sie wollte nicht daran glauben, doch etwas in ihr war sicher, dass dieses arme, würdelos zur Schau gestellte Pferd eine Bedeutung hatte. Eine Bedeutung speziell für sie.
»Schauen Sie, Frau Helmbach. Es ist lieber Besuch für Sie gekommen.«
Ilka hasste es, so angekündigt zu werden. Sie mogelte sich lieber an der Pforte vorbei und am Büro, trat ihrer Mutter gern ruhig und selbstverständlich entgegen. Als Tochter, nicht als Besucherin.
Anne Helmbach
stand auf dem kleinen Schild links neben der Tür. Jedes Mal wenn Ilka den vertrauten Namen las, begann ihr Herz, stärker zu klopfen, und sie hatte das Bedürfnis, auf der Stelle umzukehren, in den Bus zu steigen und weit, weit wegzufahren.
Ihre Mutter lächelte ihr entgegen. Es war ein vages, ungefähres Lächeln, das jedem galt und keinem, bereit, jederzeit wieder zu verschwinden. In ihren Augen war keine Spur eines Erkennens. Das war der schrecklichste Moment für Ilka, in die Augen der Mutter zu sehen und darin nichts als Leere zu finden.
»Kommen Sie«, sagte Frau Hubschmidt. »Ich nehme Ihnen die Jacke ab.«
Sie war eine derbe Frau Mitte vierzig, mit schwarz gefärbtem Haar, wild toupiert und von neongrünen Strähnen durchzogen. Ihr Gesicht war stark geschminkt, die Lippen und die Fingernägel silbrig blau, wie erfroren. Sie trug einen engen schwarzen Minirock und einen kiwifarbenen Pulli, der den Bauch frei ließ, was keine kluge Entscheidung war, denn Bauch und Hüften waren in reichlich Speck eingebettet. An ihren Fingern steckten silberne Ringe und um ihren Hals wand sich eine dicke silberne Schlangenkette.
Ihre Stimme war laut und heiser. Sie roch nach Zigarettenrauch, darunter lag der Duft eines herben Parfüms. Ilka hatte sich zunächst ein wenig vor dieser Frau gefürchtet, aber inzwischen war sie ihr beinah ans Herz gewachsen. Frau Hubschmidt arbeitete seit einer halben Ewigkeit in diesem Heim und sie gab nicht auf. Zusammen mit den Angehörigen und notfalls auch ohne deren Hilfe kämpfte sie von früh bis spät. Um den Hauch einer Erinnerung, das leiseste Anzeichen einer Wahrnehmung.
Um Anne Helmbach bemühte sie sich besonders intensiv. Dass die Ärzte in diesem Fall am Ende ihres Lateins waren, kümmerte sie nicht. Sie war keine Ärztin, aber sie hatte Erfahrung im Umgang mit ihren Patienten und stellte ihre eigenen Diagnosen.
»Die Strickjacke ist neu«, sagte sie. »Ihre Mutter trägt sie heute zum ersten Mal. Steht sie ihr nicht gut?« Sie lächelte Ilka zu und verließ das Zimmer, ohne eine Antwort abzuwarten.
»Hallo, Mama.« Ilka setzte sich zu ihrer Mutter an den Tisch.
Anne Helmbach lächelte immer noch. Ihre Hände lagen auf dem Tisch, hellhäutig, feingliedrig, reglos, Hände, die keine körperliche Arbeit mehr kannten. Die Nägel waren rigoros kurz geschnitten, dabei hatte Anne Helmbach sie immer lang getragen, sie gehegt und gepflegt, gefeilt und lackiert. Sie waren ihr ganzer Stolz gewesen.
»Die Jacke steht dir wirklich gut«, sagte Ilka und betrachtete das Gesicht der Mutter, in das sich lauter feine Runzeln eingenistet hatten. Anne Helmbach alterte in einem erschreckenden Tempo. Ihre Haut war trocken geworden und stumpf, ihre Lippen wirkten rissig, obwohl ein Fettstift auf ihrem Nachttisch lag. Wahrscheinlich vergaß sie, ihn zu benutzen.
Ilka strich zart mit dem Zeigefinger über die Hand
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