Der Maedchenmaler
unter seinen Gästen zu haben. Immer wieder sprach er Bert darauf an. Mord und Totschlag schienen ihn zu faszinieren. Das war ungewöhnlich, denn den meisten Menschen waren Ermittlungen in Tötungsdelikten unheimlich. Sie schoben alles, was sie an den Tod erinnerte, weit von sich. Als wäre der Tod ansteckend, vor allem wenn er gewaltsam herbeigeführt wurde.
Bert bestellte Lasagne. Wie jedes Mal. Und Marcello notierte die Bestellung. Wie jedes Mal. Sie waren wie Schauspieler in einem oft geprobten Theaterstück.
»E un aqua minerale?«, fragte Marcello.
»Va bene«, bestätigte Bert.
Sie schienen beide an dem Ritual zu hängen. Vielleicht weil sie beide die Erkenntnis gewonnen hatten, dass Gewohnheiten dieser Art den Alltag auf wohltuende Weise strukturierten.
Während Bert auf das Essen wartete, überflog er die Zeitung. Dazu war er heute noch nicht gekommen. Marcello störte ihn nicht dabei. Bert hatte sogar den Eindruck, dass der Wirt die Ruhe seines
Commissario
energisch verteidigte. Er wies neu eintreffenden Gästen sämtlich Tische am anderen Ende des Raums zu, sodass Bert sich ganz in seine Lektüre vertiefen konnte.
Mit leichtem Herzklopfen wandte Bert sich dem Feuilleton zu. Dabei glaubte er nicht wirklich an den Glücksfall, ausgerechnet heute einen Artikel über Ruben Helmbach zu finden. Tatsächlich gab es überhaupt keinen Artikel über Malerei, lediglich einen über ein Konzert mit zwei Sopranistinnen, die ihm unbekannt waren, und einen über eine Fotoausstellung, die ihm nichts sagte.
Vielleicht sollte ich ein bisschen mehr Zeit auf meine Bildung verwenden, dachte er, holte sein Handy hervor und wählte die Nummer von zu Hause.
»Melzig.« Margots Stimme klang genervt. Wie meistens. Wann hatte er sie zum letzten Mal entspannt und ausgeglichen erlebt?
»Ich bins«, meldete er sich. »Sag mal, kannst du dich noch an den Maler Ruben Helmbach erinnern?«
»Guten Tag«, antwortete sie spitz. »So viel Zeit muss sein. Erkundigungen nach meinem Wohlbefinden erwarte ich ja gar nicht erst.«
»Entschuldige. Ich habs eilig. Also, erinnerst du dich?«
»Ruben Helmbach? Fragst du mich das ernsthaft? Er ist
der
Shootingstar der Szene. Wir haben im letzten Urlaub eine Ausstellung von ihm besucht. Das musst du doch noch wissen.«
Berts Gehirn leistete Schwerstarbeit. Den letzten Urlaub hatten sie vor einem Jahr in Ostfriesland verlebt, und die Ausstellung hatte in einem kleinen Küstenort stattgefunden, dessen Namen er nie zuvor gehört und längst wieder vergessen hatte.
Margot half ihm auf die Sprünge: »Altumnersiel.«
»Genau. Lag mir auf der Zunge.«
Margot seufzte, als hätte sie gerade entdeckt, dass er geistig zurückgeblieben war.
»Kannst du dich an irgendwas Besonderes erinnern?«, fragte er.
»Nur dass er nichts anderes gemalt hat als junge Mädchen. Ein bisschen verrückt manchmal, so in Richtung Picasso, dann wieder romantisch, wie Chagall vielleicht.«
Margot hatte schon immer die phänomenale Fähigkeit besessen, sämtliche Eindrücke zu speichern und zu katalogisieren. Oft brachte sie Bert damit in Verlegenheit, aber manchmal leistete sie ihm damit auch unschätzbare Dienste. Er bedankte sich und schaltete das Handy aus, bevor sie das Gespräch wieder auf seine Versäumnisse lenken konnte.
Wenig später brachte Marcello die Lasagne. Beim Essen überdachte Bert Margots Informationen. Und ganz allmählich spielte sein Gedächtnis wieder mit. Er hatte sich damals darüber gewundert, dass die Mädchen auf den Bildern einander so ähnlich sahen. Vielleicht, hatte er gedacht, lag es daran, dass der Maler nur ein Modell hatte.
Doch inzwischen hatte sich das ja wohl geändert. Als anerkannter Szenemaler hatte er in dieser Hinsicht garantiert ausgesorgt. Da standen die Mädchen doch bestimmt Schlange, um ihm sitzen zu können. Sitzen? Hieß das so? Bert spürte dieses Kribbeln im Bauch, das ihn immer dann überfiel, wenn seine Überlegungen sich verdichteten, wenn er sozusagen Witterung aufgenommen hatte. In manchen Momenten liebte er seinen Beruf.
Abrupt ließ Ruben sie los. Ilka war nicht darauf gefasst gewesen und taumelte gegen den Stuhl. Er kippte um. Das Geräusch zerschnitt die gefährliche Stille.
»So will ich es nicht«, sagte Ruben leise, »nicht so.« Er nahm den Lappen, schraubte eine Terpentinflasche auf und begann, sich die Hände zu säubern. »Zieh dich um.«
Ilka verschwand hinter der Staffelei und schlüpfte wieder in Jeans und Pullover.
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