Der männliche Makel: Roman (German Edition)
geringste Interesse daran, ehrlich zu werden, sondern trieben sich bald wieder mit ihren alten Freunden herum, waren zu allem bereit, was mehr Profit brachte als eine Festanstellung, und gingen das Risiko ein, früher oder später erneut in Wheatfield zu landen.
Wenn Ben sich nach der letzten Besprechung von ihnen verabschiedete, wäre er meistens jede Wette eingegangen, dass sie über kurz oder lang wegen irgendeiner anderen Straftat oder Ordnungswidrigkeit wieder vor ihm stehen würden.
Und genau aus diesem Grund war Jake Keane so eine willkommene Abwechslung gewesen. Er wollte sich wirklich ändern und nicht mehr in den alten Trott zurückfallen. Begegnungen mit Männern wie Jake bestätigten Ben in der Überzeugung, dass er einen sinnvollen Beruf ausübte.
Jake und er hatten sich auf Anhieb gut verstanden. Sie waren etwa gleichaltrig und beide Bücherwürmer, hatten ähnliche Interessen und den gleichen lockeren und lässigen Sinn für Humor. Jake war jemand, von dem man sicher noch hören würde, hatte Ben sich gedacht. Denn ein Mann wie er würde dank seines Engagements und seiner Selbstdisziplin sicher keine fünf Jahre brauchen, um es in der Freiheit zu etwas zu bringen. Und in der ersten Zeit hatte er auch recht behalten.
Dann, vor etwa zehn Tagen, hatte Ben spätabends einen Anruf von Jake bekommen, der ihn in seiner entwaffnend bescheidenen Art gefragt hatte, ob er ein paar Tage bei ihm übernachten dürfe. Er habe nichts dagegen, auf dem Sofa zu schlafen, falls er nicht störe. Er müsse sich nur über ein paar Dinge klar werden und brauche jemanden, dem er vertrauen könne. Da Ben Jake schon immer gemocht hatte, hatte er sofort zugesagt. Wenn der Mann in Schwierigkeiten steckte, würde ihn unter seinem Dach zumindest niemand belästigen. Oder überhaupt wissen, wo er ihn finden konnte.
Allerdings war Jake bis jetzt nicht sehr mitteilsam gewesen. Er hatte nur gesagt, er habe nun eine Festanstellung als Lehrer, die ihm große Freude mache, und offenbar war er auch erfolgreich darin. Als Ben ihn fragte, wo er gewohnt habe, hatte Jake nur ausweichend erwidert, in einer Wohnung, die er nun nicht mehr benutzen könne. Er werde sich rasch etwas Neues suchen und benötige nur eine Unterkunft für den Übergang.
Ben musste zugeben, dass Jake ein angenehmer Mitbewohner war, obwohl er viel stiller und ernster wirkte als früher. Jake war schon immer ein umgänglicher Mensch gewesen, und Ben genoss noch immer seine Gesellschaft. Jedoch hatte sein Freund, anders als früher, nicht mehr immer einen Scherz auf den Lippen, sondern strahlte eine düstere Leere aus. Etwas Persönliches, wie Ben vermutete. Vielleicht eine Frau? Wenn ja, war er bei ihm an der richtigen Adresse, denn Ben war ein guter Zuhörer.
Ben trank einen Schluck lauwarmen Kaffee aus der Tasse, die vor ihm stand, und blickte geistesabwesend hinaus auf seinen Garten. Er musste unwillkürlich schmunzeln: Dort draußen stand Jake und trug Bens fünfjährigen Sohn Josh huckepack. Josh kreischte vor Lachen und schien großen Spaß zu haben. Es war so schön, den Jungen einmal von Herzen lachen zu hören, etwas, das trotz Bens Bemühungen in diesem Haus nur sehr selten geschah.
Nicht seit … nun, seit …
Kurz wanderten seine Augen von seinem Sohn und Jake, die im Garten herumtollten, zu dem Foto auf seinem Schreibtisch. Susan und er an ihrem Hochzeitstag. Das war neun Jahre her, und seitdem war so viel geschehen. Sie sah auf dem Foto so atemberaubend aus. Große braune Augen, die denen von Josh sehr ähnelten, und ein sorgloses Lächeln.
Vier Jahre waren sie verheiratet gewesen, vier Jahre, ohne dass etwas ihr Glück gestört hätte, und das konnten nicht viele Paare von sich behaupten. Susans Krebserkrankung kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag hatte sie völlig überrascht. Ben hatte während der Chemotherapie und der anschließenden Erholungszeit jeden Tag ihre Hand gehalten und ihr versichert, dass alles gut werden würde.
»Wenn das das Schlimmste ist, was uns passieren kann«, versuchte er, sie aufzuheitern, »dann schaffen wir es schon.«
Allerdings war es noch längst nicht das Schlimmste. Die größte aller Tragödien hatte sich das Schicksal für das Weihnachtsfest vor zwei Jahren aufgespart, als Josh gerade drei gewesen war. Nun musste sich Ben dem schlimmsten Albtraum aller Eltern stellen. Wenn er den Schmerz kaum ertrug, weil er Susan so jung verloren hatte, wie sollte ein kleiner Junge dann damit zurechtkommen? Würde er sich
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