Der männliche Makel: Roman (German Edition)
unweigerlich früher oder später. Man investierte Zeit und Kraft in einen anderen Menschen, nur damit einem plötzlich die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde. Warum also hatte sie sich überhaupt so in die Sache hineingehängt?
Und dann war da noch Lily, inzwischen mehr oder weniger der einzige Mensch, der sie zum Lächeln bringen konnte. Jeden Abend, wenn Eloise zu ihr nach Hause eilte, um mit ihr zu spielen, ihr etwas vorzusingen, sie zu baden und sie ins Bett zu bringen, ging ihr derselbe Gedanke durch den Kopf. Das einzig Gute an dem ganzen Debakel war, dass sie ihn nie mit Lily bekannt gemacht hatte. Falls er sich nämlich anschließend aus dem Staub gemacht hätte, hätte Eloise ihn ganz sicher eigenhändig erwürgt, und wenn sie dafür in den Knast gekommen wäre.
Zumindest ging es Lily gut. Sie ahnte nichts von dem Drama, das sich hinter den Kulissen abgespielt hatte. Wenn sie sich nun im Morgengrauen an Eloise kuschelte und fragte: »Mama, hast du meinen Daddy schon gefunden?«, zog Eloise sie nur fest an sich und wechselte das Thema, indem sie ihr sagte, welches Glück sie doch habe, mit ihrer Mama und Tante Helen zusammenzuleben. Dann lächelte Lily und hakte nicht weiter nach.
Allerdings gab es da noch ein Problem: Warum konnte sie nicht weiterleben wie früher, sich in die Arbeit stürzen und sich auf ihre Karriere konzentrieren, nachdem er sich offiziell davongemacht hatte? Das hatte doch sonst immer geklappt?
Aber aus unerklärlichen Gründen funktionierte es nicht mehr, sie konnte sich einfach nicht konzentrieren.
Sie wusste nicht, woher ihre ständige Angst kam, Jake könnte etwas Schreckliches zugestoßen sein.
Das war die gerechte Strafe dafür, dass sie sich vor gar nicht so langer Zeit ein wenig Glück gestattet hatte. Ach, das Glück, es lullte einen ein und war anfangs so wundervoll. Es vermittelte einem das Gefühl, ein Recht darauf und es verdient zu haben. Und dann löste es sich in Luft auf, sodass man einsam und leer zurückblieb. Nicht, dass sie sich beschwert hätte. Schließlich hatte sie eine kleine Tochter, die sie so unbeschreiblich liebte, dass es ihr beinahe Angst machte. Das Problem war nur, dass dieses Verhalten so gar nicht zu Jake passte. Immerhin war er derjenige, der ihr ständig gepredigt hatte, sie müsse toleranter werden und mehr Verständnis zeigen. Er hatte ihr beigebracht, nicht so hart und unnachgiebig zu sein. Manchmal hatte sie darüber lachen müssen, dass er, der ehemalige Sträfling, daherreden konnte wie der Dalai Lama. Und deshalb verstand sie einfach nicht, warum er sich plötzlich in Luft aufgelöst hatte.
Das war normalerweise der Punkt, an dem sich ihre Sorgen und Befürchtungen zu einer ausgewachsenen Panikattacke steigerten.
War dieses Verhalten typisch für Jake Keane? Hatte er so etwas schon immer getan, also lange vor ihrer Begegnung? War er mit immer wechselnden Identitäten von Ort zu Ort gezogen, wie es ihm gefiel, und hatte dabei wer weiß wie viele Frauen um den kleinen Finger gewickelt? Andere leichtgläubige Idiotinnen, wie sie eine war?
Und was sollte sie jetzt tun? Wieder sämtliche Sozialbausiedlungen in Darndale abklappern, in der Hoffnung, ihn zu finden? Das war mittlerweile nicht mehr möglich. Außerdem wusste er ja genau, wo er sie antreffen konnte, falls er Lust dazu bekam. Also würde er sich entweder besinnen und ihr verzeihen – oder eben nicht. So einfach war das. Und bis dahin hatte sie keine andere Wahl, als den Laden so gut wie möglich am Laufen zu halten, auch wenn ihr bei jedem Klopfen an die Bürotür noch immer das Herz stehen blieb, weil er es sein könnte. Mit Bagels und Kaffee für sie wie früher. Um sicherzugehen, dass sie auch genug aß.
Auch das versetzte ihr einen Stich. Hatte sie es auch genug wertgeschätzt, wie gut, fürsorglich und einfühlsam er sie behandelt und stets beschützt hatte? Nein, nicht wirklich. Sie hatte es für selbstverständlich gehalten. Und das war jetzt der Preis, den sie dafür bezahlen musste.
Und das Schlimmste war die eine Tatsache, an der kein Weg vorbeiführte.
Abgesehen von ihren übrigen aufgewühlten Gefühlen und den Fragen, wo und bei wem Jake nun sein mochte, war da nämlich noch etwas: Sie vermisste ihn als Freund, und zwar so sehr, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Sie vermisste ihn so sehr, dass es wehtat. Nachts war es am unerträglichsten, denn um diese Zeit hatten sie ihre Gespräche geführt. Nicht über weltbewegende Themen, sondern einfach
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