Der männliche Makel: Roman (German Edition)
kleinen Kindern hatte, und als ich wissen wollte, warum in ihrem Lebenslauf nur eine einschlägige Stelle vermerkt sei, antwortete sie, sie sei in Wirklichkeit arbeitslose Schauspielerin und hoffe, sich auf diese Weise bis zu ihrem großen Durchbruch etwas dazuzuverdienen.
»Es geht ja nur darum, ein Kind zu beaufsichtigen, richtig? Außerdem habe ich Horden von Nichten und Neffen und weiß, dass ich mit ihnen zurechtkomme«, teilte sie mir kühl mit. »Und mein Empfehlungsschreiben ist gut. Meine Tante hat sich große Mühe damit gegeben. Ach, und übrigens«, fügte sie hinzu und trieb damit einen weiteren Nagel in ihren Sarg, »falls mein Agent wegen eines Vorsprechens anruft, muss ich freinehmen. Und ich arbeite nicht nach sieben Uhr abends und an den Wochenenden. Ich sollte Ihnen wahrscheinlich besser auch noch sagen, dass ich für die ersten beiden Juniwochen eine Urlaubsreise gebucht habe. Ich fliege mit meinem Freund nach Spanien. Also kann ich da ebenfalls nicht. Ist das für Sie in Ordnung?«
Mir verschlägt es ja nicht oft die Sprache, doch diesmal antwortete ich nicht, weil mir tatsächlich die Worte fehlten. Stattdessen starrte ich sie nur ungläubig an und dachte: »Die Nächste bitte!«
Und das Meisterstück? Kurz nach dem Mittagessen (also in meinem Fall ein am Schreibtisch zwischen Telefonaten heruntergeschlungener Müsliriegel, wenn ich sehr viel Glück habe) rief Rachel an und meldete, die allerletzte Bewerberin, die die Agentur ihr habe bieten können, warte geduldig am Empfang. Ich eilte aus meinem Büro, um sie zu begrüßen.
Der erste Eindruck war positiv, da mir zumindest beim Anblick der Person, die da neben Rachels Schreibtisch stand, nicht flau im Magen wurde. Mrs. Adele Patterson war über sechzig und hatte eine so eng gekrauste graue Dauerwelle, als hätte ihr jemand eine Dose weiße Bohnen über den Kopf geschüttet. Ihr Mantel schien aus demselben Stoff zu bestehen, mit dem auch die Sitze in Bussen bezogen sind, und sie war mit zwei Einkaufstüten von Marks & Spencer bepackt. Allerdings war sie die einzige Bewerberin, die zumindest aussah wie ein echtes Kindermädchen, weise, ruhig und erfahren, also eine Frau, der man ohne zu zögern sein Kind anvertrauen würde. Außerdem konnte sie einem direkt in die Augen schauen und war so freundlich, sofort auf den Punkt zu kommen.
»Ich arbeite nicht bei anderen Leuten zu Hause«, verkündete sie, ohne mit der Wimper zu zucken, und in einer Art, die mir Respekt abnötigte, obwohl mir bei ihren Worten der Angstschweiß ausbrach. »Sie können Ihre Tochter – Lily, richtig? – gern morgens um neun zu mir bringen. Aber nicht früher. Und was die Abholzeiten angeht, bin ich ebenfalls streng. Nicht später als sechs Uhr abends bitte. Das ist für ein Kind ein ziemlich langer Tag, glauben Sie mir. Und für mich auch, wie ich hinzufügen möchte, schließlich werde ich nicht jünger.«
»Mrs. Patterson, ich fürchte … nun, das dürfte ein Problem werden … wissen Sie, ich brauche … tja, sagen wir mal, dass ich Sie hin und wieder auch am Abend bräuchte … nur gelegentlich, mehr nicht … weil es sein könnte, dass ich nicht pünktlich aus der Redaktion komme … deshalb suche ich eigentlich jemanden, der bei mir wohnt … das Haus ist übrigens sehr gut ausgestattet … in Rathgar …«, fügte ich hinzu, in der Hoffnung, dass sie das überzeugen würde.
»Und wenn Sie in der Penthousesuite des Four Seasons wohnen würden, meine Liebe«, schleuderte sie mir entgegen, als sei der bloße Vorschlag eine Zumutung.
»Oh … ich würde Ihnen natürlich ein Spitzengehalt zahlen, und über einen freien Tag lässt sich immer reden …«, behauptete ich kühn und war selbst erstaunt darüber, wie unverfroren ich lügen konnte.
Freier Tag? Ich glaube, Elka hatte im letzten Jahr einen einzigen Tag frei, und zwar an Weihnachten. Und selbst da musste sie Lily für ein paar Stunden übernehmen, während ich in die Redaktion hastete, um mir das Layout für die Feiertagsausgabe anzusehen.
Allerdings stehe ich mit dem Rücken zur Wand. Das Einzige, was Mrs. Patterson noch aus dem Rennen werfen könnte, wäre ein Polizeibericht, der sie des Amoklaufs an einer Grundschule bezichtigt.
»Dann tut es mir sehr leid, dass ich Ihre Zeit verschwendet habe, Miss Elliot, aber ich fürchte, daraus wird nichts. Wissen Sie, ich betreue auch meine beiden Enkelkinder zu Hause. Deshalb kann Ihr kleines Mädchen nur tagsüber bei mir bleiben und muss spätestens
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