Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Alter eingebe. Und plötzlich habe ich überschaubare drei Personen vor mir. Einer ist ein Friseur, der schon seit fünfzehn Jahren einen Salon in der Coolock Lane betreibt, weshalb ich ihn sofort ausschließe.
Also bleiben nur noch zwei übrig.
Am Donnerstag verschaffe ich mir wieder schamlos Zugriff auf die Datenbank der Redaktion und finde prompt die Adressen. Und am Freitag habe ich eine Stunde … eine ganze Stunde, was bei mir ein kleines Wunder ist … zu meiner freien Verfügung. (Ein weiteres gnadenloses Herumschieben von Sitzungen und eine unverfrorene Lüge gegenüber Rachel am Empfang. Ich habe ihr erzählt, ich müsse
jemanden persönlich treffen und sei in einer Stunde zurück.) Bitte, lieber Gott, lass alle annehmen, dass es sich um einen superschüchternen Informanten handelt, den ich sanft dazu verleiten muss, mir streng geheime Fakten zu bestätigen. Die Story, die wir bald bringen werden, halte ich für bedeutsam, und die Mühe wird sich durch eine Vervierfachung unserer Auflage bezahlt machen.
Obwohl verhältnismäßig wenig Verkehr ist, brauche ich knapp zwanzig Minuten nach Darndale, nicht unbedingt ein teures Pflaster. Die Hauptstraße wird von Pubs und Imbissläden gesäumt … und das sind die Ladengeschäfte, deren Eingang nicht mit von Graffiti strotzenden Metallrollos verrammelt ist. Es gibt hier auch keine eleganten Eingänge, flankiert von hübschen nachgemachten viktorianischen Blumenkübeln mit Lorbeerbäumchen darin. Überteuerte Bistros mit Spezialangeboten für frühe Gäste und Autos mit Allradantrieb sucht man ebenfalls vergeblich. Es besteht kein Zweifel: Ich bin in einer anderen Welt.
Nur ein Beispiel für die rauen Sitten, die hier herrschen. Als ich von der Coolock Lane in die Hauptstraße einbiege und an einer roten Ampel halten muss, drücken zwei höchstens sieben Jahre alte Kinder in Trainingsanzügen die Nasen an der Autoscheibe platt. »Mein Gott, mach schnell! Sie hat einen Satellitennavi! Verfolgt sie!«, rufen sie.
Heilige Mutter Gottes, steh mir bei.
Die erste Adresse lautet Primrose Grove, eine riesige Sozialbausiedlung. Überall laufen Kinder herum, spielen Fußball auf der Straße, schreien mich an und schlagen mit der Faust auf meine Motorhaube, weil mir nichts anderes übrig bleibt, als im Schritttempo zwischen ihnen hindurchzufahren, um ihren Ball nicht zu überrollen. Ich sehe sogar eine hochschwangere Frau, die einen Kinderwagen schiebt und dabei an einer Zigarette zieht.
Das heißt nicht, dass ich mich leicht einschüchtern ließe. Schließlich habe ich mich als Jungreporterin in viel schlimmeren Gegenden herumtreiben müssen, das kann ich Ihnen sagen. Und ich habe es überlebt. Die Sache ist nur, dass mir plötzlich bewusst wird, wie sehr ich auffalle und wie viel Aufmerksamkeit ich in meinem neuen Wagen und meiner Arbeitsuniform, bestehend aus einem schwarzen Kostüm, schwarzen Gucci-Schuhen mit flachem Absatz, schwarzer Brille, schwarzer Bluse und schwarzer Strumpfhose, errege. Eigentlich ist alles an mir schwarz, einschließlich meiner schwarzen Seele, wenn man der Mehrheit meiner Mitarbeiter Glauben schenkt. Aber als ich mich jetzt umsehe, wird mir klar, dass es eine gute Idee gewesen wäre, mich so zu verhalten wie früher auf Recherche. Das heißt, verdeckt zu ermitteln, ein bauchfreies Oberteil und hautenge Jeans anzuziehen und, eine Zigarette in der Hand, einen Kinderwagen zu schieben. Das heißt, falls ich mich wirklich unters Volk hätte mischen wollen.
Ich suche eine Ewigkeit und muss immer wieder wenden, doch endlich finde ich das richtige Haus. Zum Glück steht vor dem Haus ein Taxi, was bedeutet, dass, mit ein wenig Glück, jemand zu Hause ist. Also springe ich aus dem Auto und läute. Und warte. Aus dem Wohnzimmerfenster neben mir dringt das Plärren eines Fernsehers. Irgendeine Verkaufssendung.
Ich läute wieder. Und warte weiter. Und plötzlich frage ich mich, was ich überhaupt sagen soll, falls er zu Hause ist und die Tür aufmacht.
Hallo, Sie kennen mich nicht, aber ich bin die Mutter Ihres Kindes? Äh, so geht das nicht. Hallo, haben Sie vielleicht vor über drei Jahren Sperma gespendet? In diesem Fall habe ich nämlich eine gute Nachricht für Sie …
Habe ich mir das wirklich gut überlegt? Ich werde nervös, und höchst ärgerlicher Angstschweiß rinnt mir den Brustkorb hinunter. Denn ich weiß über diesen Billy O’Casey nur, was ich der Datenbank entnehmen konnte: seine Sozialversicherungsnummer, dass er vier Punkte in
Weitere Kostenlose Bücher