Der männliche Makel: Roman (German Edition)
hat, ihn in ein Zeugenschutzprogramm aufzunehmen.
Doch unerschrocken, wie er nun einmal ist, hat er ihnen gesagt, wohin sie sich ihren Vorschlag schieben können, und arbeitet trotzdem weiter.
Sobald ich eine freie Minute habe, rufe ich ihn an und schildere ihm die Situation.
Ein langer Anfall von Raucherhusten. Dann meldet er sich keuchend wieder.
»Ich kann dir nichts versprechen«, antwortet er mit rauer, kehliger Stimme. »Aber ich tue, was ich kann.«
Dankbar gebe ich ihm die wenigen Informationen, die ich besitze. Ich höre, wie sein Stift kratzend über den Notizblock fährt, als er sich alles aufschreibt. Jimmy ist der Beste in seinem Metier. Wenn er den Kerl nicht findet, schafft es keiner.
»Da wäre noch etwas«, brummt er, bevor er auflegt.
»Ja?«
Kein weiteres Wort ist nötig, denn ich weiß, was jetzt kommen wird, und mache mich auf das Schlimmste gefasst.
»Warum? Wer ist dieser Typ? Was bedeutet er dir?«
Ich seufze auf und bemühe mich um einen lockeren Tonfall.
»Jim, sagen wir einfach, dass es persönlich ist?«
Die nächste Woche vergeht wie immer in einem Wirbel aus Sitzungen, Redaktionsschlüssen und Konferenzen, sodass ich kaum Zeit habe, an die Sache zu denken. Sie kommt mir nur wieder zu Bewusstsein, wenn ich tagsüber Lily anrufe, um ein bisschen mit ihr zu plaudern. »Mama, Mama!«, ruft sie dann in aller Unschuld. »Es ist so toll mit Tante Helen. Ich will nie wieder ein anderes Kindermädchen! Sie soll für immer bei uns wohnen!«
»Das wäre wundervoll, aber du weißt doch, dass Tante Helen bald wieder zurück nach Cork muss. Mama wird ein anderes Kindermädchen für dich suchen …«
»Nein!!! Kein anderes Kindermädchen! Ich will nur Tante Helen. Für immer!«
Ich seufze tief auf und lege das Problem in Gedanken unter »zur späteren Wiedervorlage« ab.
»Und soll ich dir noch was sagen, Mama?«
»Ja, Schatz, was ist?«
»Ich weiß jetzt, was ich anziehe, wenn ich mich mit Daddy treffe. Und ich habe heute ein neues Lied auf dem Klavier gelernt, das ich ihm vorspielen kann. Und ich habe ein Bild von uns beiden zusammen gemalt!«
»Nun, weißt du, Schatz«, antworte ich so beschwichtigend wie möglich, »wir tun unser Bestes, um ihn zu finden. Aber vielleicht wohnt er ja gar nicht mehr hier, sondern ist ins Ausland gezogen«, versuche ich verzweifelt, sie vor der Enttäuschung zu schützen. Doch sie ist ja noch nicht einmal drei und kennt die Bedeutung des Wortes Enttäuschung noch nicht.
»Du findest ihn schon, Mummy«, verkündet sie stolz. »Du kannst alles! Du bist wie Superwoman, nur besser!«
Donnerstagnachmittag, und noch immer keine Nachricht von Jim. Kein Zwischenbericht, nichts. Als ich ihm eine SMS schicke, erhalte ich eine knappe Antwort: »Lass mich in Ruhe meine Arbeit machen!«
Recht hat er. Also kneife ich brav den Schwanz ein und gehorche.
Das Wochenende kommt und geht. Noch immer nichts. Dann, ich habe die Hoffnung schon aufgegeben und frage mich, wie ich es Lily beibringen soll, ruft Jimmy mich am Montagabend aus heiterem Himmel an.
»Wo bist du?«, erkundigt er sich barsch.
»In der Redaktion.« Wo sonst?
»Kannst du dich für eine halbe Stunde loseisen? Ich muss persönlich mit dir reden.«
Ich schaue auf die Uhr. Ich rufe den heutigen Plan auf dem Computer auf, aber ich bin total ausgebucht. Ich setze schon zu der Frage an, ob ich mir einen Termin freiboxen und ihn später zurückrufen kann, doch er will nichts davon wissen.
»Ich bin in zehn Minuten in der Tiefgarage an der Abbey Street. Du solltest da sein.«
Herrgott, wenn mich jemand sieht. Irgendwie gelingt es mir, mich aus dem Büro zu schleichen und der armen verdatterten Rachel mitzuteilen, sie solle ausrichten, dass ich gleich zurück bin, falls mich jemand suchen sollte. Ihre ungläubige Miene, als sie diese noch nie da gewesenen Worte hört, spricht Bände. Es ist, als hätte ich gerade verkündet, ich hätte das Handtuch geworfen und würde von nun an die Obdachlosenzeitung an der Ecke der Tara Street verkaufen.
Durchgeschwitzt, mit rasendem Puls und einem Herzen, das so heftig klopft, dass das Rauschen des Blutes in meinen Ohren fast alle anderen Geräusche übertönt, steige ich ins Auto und schlängle mich durch den dichten Feierabendverkehr bis zur Tiefgarage in der Abbey Street.
Ganz bestimmt hat er Neuigkeiten für mich. Das muss einfach so sein …
Unterwegs läutet die ganze Zeit mein Mobiltelefon, doch ich achte nicht darauf, sondern fahre einfach weiter und
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