Der männliche Makel: Roman (German Edition)
blamieren.
Eine beklommene Pause entstand, während sie an der belebten Straßenecke darauf lauerten, wer sich zuerst eine Blöße geben würde.
»Eine ganz einfache Frage«, brach Ruth das inzwischen unangenehme Schweigen. Sie verschränkte die Arme und sah Jake finster und von oben herab an. »Ich bin einfach nur neugierig, woher ihr beiden euch kennt.«
»Äh … tja … weißt du …«, stammelte Eloise. »Die Sache ist … ich habe Jake … durch … äh …«
»Eigentlich ist es nicht weiter kompliziert«, ergriff Jake gelassen das Wort. »Ich bin der Mieter von Eloises Schwester.«
Tiefste Dankbarkeit malte sich in ihren Augen.
»Ich verstehe.« Ruth nickte, schien aber nicht überzeugt. »Und wie lange …«
»Weißt du, ich würde zwar gerne hier stehen bleiben und den restlichen Nachmittag verquatschen«, fiel Eloise, die inzwischen wieder beinahe so klang wie gewöhnlich, ihr barsch ins Wort, »aber wir haben in genau zehn Minuten eine Redaktionssitzung, Ruth. Oder hast du das vergessen? Also komm schon, wir müssen.«
»Ja, ja, ich komme«, entgegnete Ruth leicht verschnupft.
»Nett, Sie kennenzulernen.« Jake nickte ihr lässig zu.
»Sicher sieht man sich in Zukunft noch öfter.« Dieser letzte Seitenhieb wurde von einer raschen Musterung von Kopf bis Fuß begleitet.
Mit einem breiten, vergnügten Grinsen hauchte Jake Eloise einen Kuss auf die Wange, meinte, sie würden später weiterreden, und trollte sich.
Eloises späteren Berechnungen zufolge hatte Ruth nur etwa zehn Minuten gebraucht, um die Nachricht nach dem Stille-Post-Prinzip im gesamten Gebäude zu verbreiten.
Am besten setzt du dich erst mal, raunte die Gerüchteküche. Rate mal, wer sich mit einem neuen Typen trifft. Eloise Elliot, die alte Jungfer höchstpersönlich! Kein Scherz. Und außerdem soll er toll aussehen. Groß, blond, gute Figur, gebaut wie ein Rugbyspieler. Ein Kerl in Jeans und Turnschuhen, also nicht, was man vor ihr erwarten würde. Eigentlich würde man meinen, dass irgendein hohes Tier bei einem Konzern der großen Chefin besser ins Konzept passen würde, oder? Ein starker, zurückhaltender Mann … ein sanfter Riese, aber auch sexy und kein Warmduscher. Was er nur von ihr will, wird sich noch zeigen.
Zwischen den beiden läuft eindeutig was. Sie sind die Tara Street entlangspaziert. Sie hat einen Crêpe verschlungen, und die beiden haben Kaffee getrunken wie zwei verliebte Teenager. Als Ruth sie zusammen erwischt hat, ist sie knallrot angelaufen. Und noch was: Als Ruth wissen wollte, woher sie sich kennen, konnte sie ihr nicht in die Augen schauen. Es ist doch sonnenklar, was das bedeutet. Und das ist das Beste: Bestimmt hat sie ihn aus dem Internet … aus irgendeinem Singles-Forum für durchgeknallte Arbeitssüchtige, wie sie eine ist. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Natürlich erklärt das auch, warum sie sich in letzter Zeit so oft aus dem Büro verdrückt und einfach verschwindet, ohne zu sagen, wohin. Tja, jetzt ist es auf dem Tisch und offiziell …
Natürlich erfuhr Eloise wie immer früher oder später davon. Fast hätte sie darüber lachen können, wenn das Ganze ihr nicht so viel bedeutet hätte.
Für das Vorstellungsgespräch entwarf Eloise ein intensives Trainingsprogramm, als wolle Jake bei der Olympiade im Hundertmeterlauf antreten, anstatt sich um eine Stelle an einer Sprachenschule in der Camden Street zu bewerben. Da sie nicht lockerlassen konnte, stattete sie ihm am späten Abend vor dem großen Tag sogar nach der Arbeit einen Besuch ab, um alles in Form eines Rollenspiels ein letztes Mal mit ihm durchzugehen.
»Also, erzählen Sie mir mal, warum Sie Englisch als Fremdsprache unterrichten wollen«, forderte sie Jake auf. Sie saß ihm an dem winzigen Küchentisch gegenüber und hatte die Beine überkreuzt und die Hände ordentlich auf dem Schoß gefaltet wie bei einem Verhör.
»Komisch, dass ausgerechnet du das fragst«, erwiderte er gähnend. Er lümmelte mit ausgestreckten Beinen auf seinem Stuhl, denn er hatte seit dem frühen Morgen für die anstehenden Abschlussprüfungen gelernt, und nun brummte ihm der Schädel. Offen gestanden hatte er nicht die geringste Lust auf das hundertste Bewerbungstraining mit Eloise.
»Komm schon, Jake, antworte.«
»Ach, wissen Sie, da ich zwei Jahre in Wheatfield einsitzen musste, dachte ich mir, eine Ausbildung zum Englischlehrer wäre ein spaßigerer Zeitvertreib, als in der Gefängniswäscherei dreckige Unterhosen zu
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