Der männliche Makel: Roman (German Edition)
schultern würde. Und zwar immer.
»Ja«, erwiderte er, musterte sie nachdenklich und setzte sich ihr gegenüber. »Das möchte ich.«
»Oh mein Gott«, seufzte sie erschöpft auf und schlug die Hände vors Gesicht. »Wo soll ich nur anfangen?«
Rückblickend betrachtet hätte sie sich überhaupt nicht wegen des wichtigen Vorstellungstermins verrückt machen müssen. Denn am nächsten Tag um die Mittagszeit – Eloise war gerade auf dem Weg zu einer Redaktionssitzung – läutete ihr Telefon. Jake war am Apparat, und sie erkannte am Lachen in seiner Stimme und an seinem beschwingten Tonfall, dass es nur gute Nachrichten sein konnten.
Inzwischen drängten alle Ressortchefs, debattierend und mit iPads, iPhones, Laptops und Kaffeetassen bewaffnet, in den Konferenzraum.
»Ich muss das Gespräch annehmen. Komme in zwei Sekunden nach«, flüsterte sie Robbie vom Auslandsressort zu, der gerade an ihr vorbeischlurfte. Er nickte, betrat den Konferenzraum und schloss die Tür, damit sie ungestört telefonieren konnte.
»Und?«, zischte sie so leise, dass auch Rachel am Empfang sie nicht hörte.
»Katastrophe«, erwiderte er, was sie erstaunte. Sie hätte nämlich schwören können, dass er dabei grinste.
»Was ist passiert?«
»Sie haben mich wegen der auffälligen zweijährigen Lücke im Lebenslauf so richtig in die Mangel genommen.«
»Was?«
»Du hättest dabei sein sollen. Diese Typen waren schlimmer als bei CSI . Richtige Verhörspezialisten, die mir mit einer Lampe ins Auge geleuchtet haben, das volle Programm. Sie haben ununterbrochen die Schlüsselsätze wiederholt, wie ausgebildete Agenten es eben so tun …«
»Jake, wenn du mich auf den Arm nehmen willst …«
»Verraten Sie uns Ihr Geheimnis, haben sie immer wieder gesagt …«
»Falls du das witzig findest …«
»Sie waren mal im Knast, richtig? Und weshalb? Haben Sie alten Damen die Handtasche weggerissen? Bewaffneter Raubüberfall? Einbruch? Brandstiftung? Oder noch schlimmer?«
»Jake …«
»Irgendwann bin ich schwach geworden und habe alles gestanden. Und, um es kurz zu machen, sie haben den Sicherheitsdienst gerufen, mich rausgeworfen, mein Zeugnis zerrissen und mir gedroht, ich würde wieder für zwei Jahre in den Knast wandern, falls ich mich noch mal an einer Sprachenschule blicken lassen sollte …«
»Jake!«, zischte sie, inzwischen wirklich besorgt. »Bitte sag, dass das nur ein Scherz ist.«
»Natürlich, du Dummerchen. Es hat so gut geklappt, dass der Typ, der das Bewerbungsgespräch geführt hat, mich gebeten hat, noch ein bisschen zu bleiben, um den Schuldirektor kennenzulernen. Der hat einen Blick auf meine Noten geworfen und gemeint, sie hätten in den Sommermonaten zu wenig Leute. Er hat mich mehr oder weniger gefragt, wann ich denn anfangen könnte. Zunächst könnten sie mir nur ein paar Stunden pro Woche bieten. Aber ich beklage mich nicht. Wahnsinn.«
Unwillkürlich stieß Eloise einen lauten Freudenschrei aus.
»Und jetzt habe ich noch eine Frage, junge Frau«, sagte Jake am Telefon.
»Und die wäre?«
»Wohin soll ich heute Abend mit dir feiern gehen?«
In diesem Moment blickte sie auf und stellte fest, dass Seth Coleman mit seinen Eidechsenaugen direkt vor ihr stand und offenbar alles mitgehört hatte. Mein Gott, wie machte er das bloß?, fragte sie sich. Ihre Hochstimmung war schlagartig wie weggeblasen.
»Ich rufe zurück, kann jetzt nicht reden«, murmelte sie rasch und beendete das Telefonat.
»Ach, plaudern Sie mit Ihrem neuen Freund?«, erkundigte sich Seth gespielt leutselig.
»Genau genommen war es nicht persönlich«, log sie unverfroren.
Eine dämliche und durchsichtige Ausrede, wie sie wusste. Aber egal, für den Moment musste es genügen.
»Hm«, näselte er, während er an ihr vorbeiging. »Ich rechne fest damit, dass Sie den großen Unbekannten, dem ich nur zu gerne begegnen würde, zum Vorstandswochenende mitbringen. Wir alle freuen uns schon darauf.«
Es kostete Eloise alle Selbstbeherrschung, ihn nicht mit ihrem Telefon zu bewerfen, und zwar in der Hoffnung, dass es bleibenden Schaden anrichten würde.
Jake bestand darauf, Eloise am Abend auszuführen, und ließ ein Nein nicht gelten. Er werde zum Dank alles organisieren, sie müsse nur erscheinen und »verdammt noch mal aufhören, über die Arbeit zu labern«. Wie immer hörte er sich geduldig ihre Ausflüchte an: »Ich kann nicht, ich muss E-Mails verschicken und mich auf Sitzungen vorbereiten«, oder wie ihre üblichen Entschuldigungen
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