Der männliche Makel: Roman (German Edition)
schrubben.«
Mit einer blitzartigen Bewegung hob Eloise ihren Aktenkoffer vom Boden auf und schickte sich zum Gehen an.
»Wenn du die Sache nicht ernst nimmst, brauche ich es auch nicht zu tun«, fauchte sie ihn an. »Ist dir klar, dass Bewerbungstrainer für so etwas bis zu zweihundertfünfzig Euro die Stunde kassieren? Und hier sitze ich, total kaputt nach einem langen Arbeitstag, und du glaubst offenbar, ich mache das zum Vergnügen. Mein Gott, manchmal frage ich mich, warum ich mich so für dich abmühe, wenn du dich überhaupt nicht anstrengst …«
»Verdammt, jetzt setz dich wieder hin und werd mal ein bisschen lockerer«, entgegnete er, verschränkte die Arme und sah sie spöttisch an. »Das war doch nur ein Scherz. Komm schon, du hast einen langen Tag hinter dir. Können wir uns nicht mal wie ganz normale Leute unterhalten, anstatt uns die ganze Zeit nur blödzuschuften?«
»Das ist auch etwas, das ich dir noch sagen wollte. Deine Ausdrucksweise. Wenn du so redest, stehst du in null Komma nichts wieder vor der Tür.«
»Eloise, beruhigst du dich nun endlich? Meinst du, ich weiß das nicht? Alles wird gut. Ich habe es nicht so weit gebracht, um dich jetzt zu enttäuschen. Also komm wieder runter. Es ist halb zehn«, fuhr er gelassen fort. »Wie du aussiehst, hast du einen höllischen Tag hinter dir, und ich auch. Trink ein Glas Wein und entspann dich. Das Vorstellungsgespräch wird gut laufen. Ich bin derart gründlich vorbereitet, dass ich vermutlich den Personalchef in die Mangel nehmen werde und nicht umgekehrt, so gut hast du mich gedrillt.«
»Jake«, meinte sie müde und mit inzwischen vor Erschöpfung geröteten Augen, »hast du überhaupt eine Vorstellung davon, mit welch harten Bandagen auf dem Arbeitsmarkt gekämpft wird? Gut, du warst zwei Jahre lang aus dem Verkehr gezogen, aber lass mich dir eines verraten. Wir machen gerade die schlimmste Rezession seit der Weltwirtschaftskrise durch. Es gibt fast keine Arbeitsplätze. Wenn du dich morgen vorstellst, trittst du gegen ausgewählte Kandidaten mit Diplom- oder Masterabschluss an. Außerdem muss keiner von ihnen einen, sagen wir mal, Fleck auf seiner weißen Weste vertuschen. Also nimmst du die Sache entweder ernst oder ich verschwinde und komme niemals wieder. Dann kannst du meinetwegen Taxifahrer werden und deine Freizeit damit verbringen, von einem Uniabschluss und einem besseren Leben zu träumen. Denn mehr wird nie daraus werden. Ach übrigens, und denke nicht, dass es eine leere Drohung ist, wenn ich sage, dass ich jetzt gehe. Leere Drohungen sind nämlich nicht meine Sache, darauf kannst du Gift nehmen. Ich habe schreckliche Kopfschmerzen und genauso wenig Lust wie du, die Bewerbungsfragen noch einmal durchzuarbeiten. Aber du wirst es tun. Und ich auch.«
»Okay, okay, verstanden«, seufzte er und breitete schicksalsergeben die Hände aus. »Wenn es dich glücklich macht, ackern wir den ganzen dämlichen Mist eben wieder durch …«
»Was habe ich gerade zum Thema Ausdrucksweise gesagt?«
»… zum tausendsten Mal: Könntest du zuerst ein Glas Wein trinken und dich beruhigen«, meinte er beschwichtigend.
Inzwischen kannte Jake diese Seite ihrer Persönlichkeit, nämlich die getriebene, die keine Gnade kannte und vor nichts haltmachte. Allerdings bedeutete das nicht, dass er diesem Charakterzug viel abgewinnen konnte. Doch zumindest gehorchte sie und nahm mit einem entnervten Seufzer wieder Platz, was er als Stichwort verstand, zum Kühlschrank zu gehen und ihr ein Glas Weißwein einzuschenken.
»Nur aus reiner Neugier«, merkte er an, während er ihr das Glas reichte und zusah, wie sie zur Beruhigung ihrer Nerven einen großen Schluck nahm. »Schaltest du denn niemals ab?«
»Wovon redest du?«, gab sie, offenbar wirklich verdattert, zurück.
»Es ist jetzt später Abend. Wahrscheinlich sitzt du schon seit dem Morgengrauen am Schreibtisch. Und trotzdem läufst du weiter auf Hochtouren und hast noch immer nicht Feierabend. Wir haben schon so viel Arbeit in das Projekt gesteckt, mich für morgen vorzubereiten. Aber die Sache ist … dass du mir einfach vertrauen musst. Es ist in Ordnung, hin und wieder die Verantwortung abzugeben, Eloise. Kannst du nun endlich für fünf Minuten einen Gang herunterschalten und mir erzählen, wie dein Tag war?«
»Das möchtest du wirklich wissen?« Völlig perplex sah sie ihn an. Schließlich interessierte sich nie jemand dafür, wie es ihr ging. Die Leute nahmen einfach an, dass sie schon alles
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