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Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Titel: Der männliche Makel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Carroll
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manchen Knastbruder erbleichen lassen.)
    Ja, er wollte dieses Leben und sehnte sich, seit er denken konnte, verzweifelt danach, ein wohlanständiges und abgesichertes Mitglied der Mittelschicht zu werden. Und dennoch zweifelte er manchmal daran, dass er es schaffen würde. In seinem neuen Job würde es niemandem auffallen. Den spanischen Jugendlichen, die er unterrichten sollte, würde es egal sein, dass er in einer Sozialbausiedlung mit Blick auf ausgebrannte Autos und sich prügelnde Kinder aufgewachsen war. Nicht, solange er ihnen alles über die Zeiten und die if-clauses beibrachte.
    Auf gesellschaftlichem Parkett hingegen sah die Sache schon ganz anders aus. Insbesondere in Restaurants. Vergiss nicht, die Serviette zu benutzen. Nimm das Besteck von außen nach innen. Ellenbogen vom Tisch. Und immer daran denken, dass er jetzt wirklich ein Lehrer war und sich auch wie einer benehmen musste.
    Mein Gott, das war ganz schön anstrengend.
    In Eloises Gegenwart fühlte er sich wohl und konnte ganz entspannt sein. Doch schließlich kannte sie seine Herkunft und, was noch wichtiger war, seine Ziele im Leben. Aber was, wenn unweigerlich der Tag kam, an dem er Umgang mit anderen Lehrern und Akademikern aus der Mittelschicht würde pflegen müssen? Was dann? Würden sie ihn alle als den nichtsnutzigen Emporkömmling und Betrüger mit neuer Frisur und schickem Anzug durchschauen? Das machte ihm mehr zu schaffen, als er Eloise je verriet.
    Doch nun hatte er wenigstens die Hürde der Weinbestellung erfolgreich genommen. Und nach einem oder zwei Gläsern spürte er regelrecht, wie die Anspannung von Eloise abfiel. Er hatte bereits bemerkt, dass sie sich bei jedem ihrer Gespräche mehr öffnete und ihm von Seth Coleman, seinen letzten Kapriolen und den hinterhältigen Manövern erzählte, mit denen er sie aus ihrem Job zu drängen versuchte.
    Aber da war noch etwas, über das sie sich bereits öfter beklagt hatte, allerdings ohne je ins Detail zu gehen. Wie sie ihm anvertraut hatte, wusste sie sehr gut, wie unbeliebt sie in der Redaktion war, und kannte auch die hässlichen Spitznamen, mit denen man sie hinter ihrem Rücken bedachte. Niemand möge sie wirklich, und das sei schon immer so gewesen. Nicht einmal die wenigen Leute, die sie zwar nicht als Freunde bezeichnete, die aber wenigstens ihre Verbündeten waren. Falls es also zur offenen Konfrontation zwischen ihr und Seth kommen sollte, fragte sie – und er hätte schwören können, dass er einen verbitterten Unterton in ihrer Stimme gehört hatte –, würde sich doch kein vernünftiger Mensch auf ihre Seite stellen, oder?
    »Aber du arbeitest ja schon seit Jahren dort«, meinte er beschwichtigend. »Warum hast du das Gefühl, keine Freunde zu haben? Das begreife ich nämlich wirklich nicht. Die Eloise, die ich kenne, ist so ganz anders als die Frau, die du beschreibst.«
    Sie trank noch einen Schluck Wein und betrachtete nachdenklich ihre Serviette.
    »Es war schon mein Leben lang so«, gestand sie schließlich. Ihre Ehrlichkeit rührte ihn mehr, als er in Worte fassen konnte.
    »Tatsächlich?«
    »Ehrenwort. Und was man nie hatte, kann man auch nicht vermissen, richtig?«, fügte sie hinzu, nippte noch einmal an dem Wein und sprach weiter. »Ich kann dir nur sagen, dass ich vieles anders machen würde, wenn ich noch eine zweite Chance hätte. Vielleicht würde ich meine Kollegen nicht so hart antreiben und mich ein wenig menschlicher, nachsichtiger und verständnisvoller verhalten. Es ist nämlich sehr schwer, Tag für Tag in die Redaktion zu gehen und dafür zu sorgen, dass der Laden läuft, während einem von den Leuten, deren Arbeitsplätze man retten will, buchstäblich Hass entgegenschlägt.«
    »Wie genau meinst du das?«, erkundigte er sich und spitzte die Ohren.
    »Nun … wenn jemand um mehr Freizeit bittet, kriegt er von mir normalerweise eine Standpauke, dass er den Job nicht schleifen lassen darf. Schließlich gebe es genug andere Leute, die scharf auf seine Stelle seien. Mein Motto lautet, dass ich anderen nicht mehr abverlange als mir selbst. Und das stimmt auch. Aber … anstatt Respekt vor mir zu haben, weil ich so hohe Anforderungen an mich und meine Mitmenschen stelle, scheinen sie mich deshalb zu hassen und zu verachten. Ganz gleich, was ich auch tue. Doch wenn ich es anders machen würde, würden wir unsere Zielvorgaben nicht erreichen, und dann wären noch mehr Arbeitsplätze gefährdet. Egal, wie ich es anstelle, der Schwarze Peter landet immer

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