Der Magier von Fairhaven
gute Handarbeit ist mehr wert als bloße Münzen.
Kinowin
Cerryl schluckte und legte die zweite Schriftrolle zur Seite. Eilig brach er das Siegel der dritten, das anscheinend sogar zweimal aufgebrochen und geflickt worden war.
Teuerster -
Ich weiß, dass große Pflichten auf dir lasten, aber ich möchte dich wissen lassen, dass Mutter dem Ende nahe ist. Da ich weiß, wie sehr du sie geachtet hast, wäre es vielleicht gut, wenn du, soweit überhaupt möglich, bald nach Fairhaven zurückkehrst. Kinowin kann sein Quartier übrigens nicht mehr verlassen, aber du hast sicher geahnt, dass es eines Tages so weit kommen würde. Da Vater dir jetzt hilft, den Handel in Spidlar wieder in Gang zu bringen, habe ich hier niemanden, der mir zur Seite stehen kann. Aliaria und Nierlia sind ja vor allem mit ihren eigenen Kindern und Sorgen beschäftigt …
Ich habe natürlich Verständnis, wenn es nicht möglich ist, aber dies ist vielleicht einigen Verwandten schwer zu vermitteln, insbesondere einer Nichte, die mich wissen ließ, dass du, wenn du ihrem Urteil traust, so schnell als möglich nach Hause kommen solltest – als ob du jemals voreilig auf ihre anrüchigen Vorschläge eingegangen wärst.
Wie immer vermissen wir dich alle.
Leyladin
Cerryl las den Text noch einmal und runzelte die Stirn. Es war Leyladins Handschrift, und die Ordnung, die aus den Worten sprach, war die ihre, aber sie hätte von sich aus niemals solche Worte gewählt und ganz sicher nicht so einen Unsinn geschrieben. Seine regelmäßigen Besuche mit dem Spähglas hatten ihm gezeigt, dass sie nicht in Gefahr schwebte, aber ihre Mutter war schon vor langer Zeit gestorben …
»Du bist ein Dummkopf, Cerryl.« Er nickte grimmig. Die Botschaft war die gleiche wie immer – komm bald nach Fairhaven zurück –, aber die fremden Worte, die Abschweifungen, waren für die Augen der Unbefugten gedacht, die den Brief geöffnet und gelesen hatten. Mit der Nichte war offenbar Anya gemeint, denn sie war Muneats Nichte, roch nicht nur nach zu viel Parfüm, sondern machte anrüchige Angebote.
Cerryl betrachtete die Schriftrolle und suchte mit den Sinnen nach einer Spur von Chaos auf der Innenseite – und fand sie. Lyasa war nicht in der Nähe gewesen und das Chaos war zu frisch, um von irgendjemand anders als Kalesin zu stammen, der das Dokument offenbar geöffnet hatte.
Er stand auf und ging in den Flur hinaus. »Ich gehe etwas an die Luft.«
»Ja, Ser.«
Doch direkt hinter der Ecke baute Cerryl den Blendschirm auf und ging die Treppe zum zweiten Stock hinauf.
Wie er angenommen hatte, saß Kalesin in seiner Schlafkammer am kleinen Schreibtisch.
Cerryl betrat den Raum, baute den Blendschirm ab und schloss hinter sich die Tür. »Nun? Was schickt Ihr da an Anya? Oder an Rystryr?«
Kalesin stand auf und drehte sich langsam herum, den langen Eisendolch hatte er in der Hand. »Wenn nötig, werde ich die Waffe gebrauchen. Ihr könnt mich nicht herumstoßen, Cerryl. Ich bin schon länger als Ihr ein Magier. Sie haben Euch hergeschickt, um Euch loszuwerden. Ihr werdet nicht nach Hause schleichen und mir dieses Durcheinander hinterlassen, das Ihr angerichtet habt. Und Ihr seid nicht gefeit gegen kaltes Eisen, ganz egal, was …«
»Was soll das? Ihr wärt zwar gern an meiner Stelle, aber …«
Als Kalesin sprang, zögerte Cerryl keine Sekunde. Er schleuderte die Lanze aus konzentriertem Licht in die Brust des Magiers.
Kalesin kippte zurück, das Gesicht noch im Tod vor Schreck verzerrt.
Cerryl ließ behutsam die Chaos-Flammen über den Körper wandern, bis keine Spur von dem Mann übrig blieb, abgesehen von der weißen Asche, die sich bald auflösen würde, und dem Dolch, der auf den Boden gefallen war.
Dann richtete er den Schreibtisch wieder her, wie es Kalesins Vorstellungen entsprochen hatte. Er hob den Dolch auf und legte ihn neben den dritten Stapel Papiere. Als alles ordentlich aufgebaut war, überflog er den halb zu Ende geschriebenen Brief, vor dem Kalesin gesessen hatte.
Anya-
Cerryl ist unerträglich geworden … er hat eine Schriftrolle bekommen … diese rotblonde Dirne bittet ihn, nach Fairhaven zurückzukehren … und einen weiteren Brief vom trotteligen alten Kinowin, der vor seinem Tod unbedingt noch einen neuen Wandbehang bekommen will …
Cerryl hätte beinahe den Kopf geschüttelt. Kalesin war noch viel dümmer gewesen, als Cerryl vermutet hatte. Deshalb hatte er nie eine wirkliche Gefahr dargestellt, es sei
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