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Der magische Pflug

Der magische Pflug

Titel: Der magische Pflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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nachlud, die er soeben abgefeuert hatte.
    »Schätze, die meiste Zeit kommen wir eigentlich ganz gut miteinander aus, Jungs«, sagte der Hafenmeister. »Aber heute scheint ihr einfach nicht zu begreifen, daß ihr geschlagen worden seid. Schätze, es wird langsam Zeit, daß ihr euch wieder in den Schatten setzt. Denn wenn ihr noch eine Bewegung auf diesen Wagen dort zu macht, dann werden diejenigen von euch, die nicht am Schrot sterben, in Hatrack River vor Gericht gestellt. Und wenn ihr euch einbilden solltet, daß ihr dort keinen hohen Preis dafür bezahlen müßtet, einen Jungen aus dem Ort und die neue Lehrerin tätlich angegriffen zu haben, dann seid ihr wirklich so dämlich, wie ihr ausseht.«
    Es war eine beachtliche kleine Rede, und sie wirkte besser als die meisten Reden, die Alvin bisher gehört hatte. Die Flußratten ließen sich wortlos im Schatten nieder, nahmen einen Schluck aus einem Krug und musterten Alvin und die Dame mit mürrischen Blicken. Der Hafenmeister verschwand wieder im Gebäude, noch bevor der Wagen auch nur die Ecke umrundet hatte, um auf die Straße zu gelangen, die in die Stadt führte.
    »Der Hafenmeister ist doch wohl jetzt nicht in Gefahr, nur weil er uns geholfen hat, was meint Ihr?« fragte die Dame.
    Alvin war erfreut, daß die Arroganz aus ihrer Stimme gewichen war, obwohl sie immer noch klar und deutlich sprach, wie ein Hammer, der auf Eisen schlug.
    »Nein«, sagte Alvin. »Eins wissen die ganz genau – wenn einem Hafenmeister jemals etwas angetan würde, dann würden die, die es getan haben, am ganzen Fluß keine Arbeit mehr finden. Und wenn doch, dann würden sie an Land keine Nacht überleben.«
    »Und was ist mit Euch?«
    »Oh, ich habe keine solche Garantie. Also werde ich wohl ein paar Wochen nicht mehr nach Hatrack Mouth fahren. Bis dahin haben alle diese Burschen neue Anstellungen gefunden und sind Hunderte von Meilen flußauf- oder flußabwärts von hier.« Dann fiel ihm ein, was der Hafenmeister gesagt hatte. »Ihr seid die neue Lehrerin?«
    Sie antwortete nicht, jedenfalls nicht direkt. »Ich nehme an, daß es auch im Osten solche Leute gibt, aber dort trifft man sie nicht auf offener Straße wie hier.«
    »Na, ich finde es sehr viel besser, ihnen auf offener Straße zu begegnen als im privaten Rahmen!« erwiderte Alvin lachend.
    Sie lachte nicht.
    »Eigentlich habe ich auf Dr. Whitley Physicker gewartet, der mich abholen wollte. Er hat mein Schiff wohl später am Nachmittag erwartet. Vielleicht ist er aber auch schon unterwegs.«
    »Das hier ist die einzige Straße, Ma'am«, sagte Alvin.
    »Miss«, sagte sie. »Nicht Madam. Dieser Titel gebührt nur verheirateten Frauen.«
    »Wie ich schon sagte, es ist die einzige Straße. Wenn er also unterwegs ist, wird er uns schon nicht verfehlen. Und wir werden ihn solange auch nicht vermissen, Miss.«
    Diesmal lachte Alvin nicht über seinen eigenen Witz. Andererseits meinte er im Augenwinkel zu erkennen, daß sie ganz kurz auf lächelte. Vielleicht war sie doch nicht so etepetete, wie sie aussah, dachte Alvin. Vielleicht war sie sogar fast menschlich. Vielleicht würde sie sogar einwilligen, gewissen kleinen halb-schwarzen Jungen Privatunterricht zu geben. Vielleicht war sie die Arbeit wert, die er sich gemacht hatte, um das Bachhaus herzurichten.
    Weil er geradeaus blickte, den Wagen lenkend, wäre es unnatürlich und schon gar nicht höflich gewesen, wenn er sich zu ihr umgedreht und sie so gemustert hätte, wie es ihm am liebsten gewesen wäre. Also sandte er seinen Funken aus, jenen Teil von ihm, das das ›schaute‹, was kein Mann und keine Frau mit eigenen Augen sehen konnte. Für Alvin war das inzwischen zur zweiten Natur geworden, die Leute gewissermaßen unter der Haut zu erforschen. Es war aber nicht so, als würde er irgendwie mit den eigenen Augen sehen. Gewiß, er konnte feststellen, was unter der Kleidung eines Menschen war, aber deshalb sah er die Leute doch nicht nackt. Statt dessen erlebte er sie hautnah, beinahe so, als wäre er in eine ihrer Poren hineingeschlüpft. Deshalb hatte er auch nicht das Gefühl, als würde er durch fremde Fenster spähen. Es war nur eine andere Art und Weise, Menschen anzuschauen und sie zu verstehen; er bekam nicht die Gestalt oder die Farbe eines anderen Menschen mit, aber er konnte erkennen, ob sie schwitzten, ob ihnen heiß war, ob sie gesund oder verkrampft waren. Er konnte Wunden und alte, verheilte Verletzungen schauen. Er hatte schon verstecktes Geld oder geheime

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