Der magische Pflug
wird mich heute abend zu Arthur Stuart führen, damit ich ihn befreien kann.
In ihrem kleinen Haus beobachtete Peggy Alvin und Arthur Stuart, schaute von einem zum anderen, versuchte, einen Weg zu finden, der für Arthur Stuart in die Freiheit führte, ohne Alvins Tod oder Gefangenschaft zu fordern. Doch so genau und sorgfältig sie auch schaute, es gab keinen solchen Weg. Die Sucher mit ihrer schrecklichen Gabe waren einfach zu gewieft. Auf manchen Wegen mochten Alvin und Horace Arthur vielleicht entführen, doch dann würde er nur wiedergefunden und erneut gefangengenommen werden – auf Kosten von Alvins Leben oder seiner Freiheit.
Also sah sie voller Verzweiflung mit an, wie Alvin seinen beinahe nichtexistierenden Faden spann. Erst da, zum allerersten Mal, schaute sie das Aufglimmen der Möglichkeit einer Befreiung in Arthur Stuarts Herzensfeuer. Das beruhte nicht auf der Tatsache, daß dieser Faden Alvin zu dem Jungen führen würde – auf vielen Wegen, auf denen er den Faden gesponnen hatte, hatte sie gesehen, wie Alvin die Sucher fand und sie einschläferte. Nein, der Unterschied war jetzt der, daß Alvin den Faden überhaupt herstellen konnte. Diese Möglichkeit war so gering gewesen, daß es keinen Weg gegeben hatte, der sie aufzeigte. Vielleicht aber – daran hatte sie noch nie gedacht – stellte der bloße Akt des Machens schon einen so gewaltigen Verstoß gegen die natürliche Ordnung der Dinge dar, daß ihre eigene Gabe nicht alle Pfade erkennen konnte, die davon abhingen, nicht bevor das Machen tatsächlich vollzogen worden war.
Aber hatte sie denn nicht im Augenblick von Alvins Geburt seine ruhmreiche Zukunft vorhergesehen? Hatte sie ihn nicht geschaut, wie er eine Stadt aus dem reinsten Glas oder Eis erschuf? Hatte sie diese Stadt nicht gesehen, voller Menschen, die mit Engelszungen redeten und mit den Augen Gottes schauten? Die Tatsache, daß Alvin machen würde, war immer eine Wahrscheinlichkeit gewesen, vorausgesetzt, er blieb am Leben. Doch irgendein bestimmter Akt des Machens war niemals so wahrscheinlich, niemals so natürlich, als daß eine Fackel – selbst eine so ungewöhnliche wie Peggy – ihn hätte schauen können.
Sie sah, wie Alvin die Sucher fast sofort nachdem sie auf der gegenüberliegenden Seite des Hio einen Rastplatz gefunden und es dunkel geworden war, einschläferte. Sie sah, wie Alvin und Horace sich in der Schmiede trafen und sich anschickten, sich durch den Wald von Hio zu begeben, wobei sie den Weg mieden, um nicht Dr. Physicker und dem Sheriff zu begegnen, als diese von Hatrack Mouth zurückkehrten. Doch sie beachtete sie kaum. Nun, da es eine neue Hoffnung gab, richtete sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf Arthurs Zukunft, überprüfte, wo und wie seine schmalen, neuen Pfade zur Freiheit im Tun der Gegenwart wurzelten. Sie konnte keinen eindeutigen Augenblick finden, in dem Entscheidung und Veränderung möglich waren. Das war ihr Beweis dafür, daß alles davon abhing, daß Alvin noch in dieser Nacht wahrhaftig zu einem Macher wurde.
»O Gott«, flüsterte sie, »wenn du diesen Jungen mit einer solchen Gabe hast zur Welt kommen lassen, so flehe ich dich an, lehre ihn heute nacht das Machen.«
Alvin stand neben Horace, von den Schatten am Flußufer umhüllt, während sie abwarteten, bis ein hellerleuchtetes Flußschiff vorbeigezogen war. Auf dem Boot spielten Musikanten auf, und Menschen tanzten an Deck eine Quadrille. Es machte Alvin wütend, mitansehen zu müssen, wie diese Leute wie die Kinder spielten, während gleichzeitig heute nacht ein Kind in die Sklaverei entführt wurde. Und doch wußte er, daß sie nichts Böses wollten, und er wußte auch, daß es ungerecht war, anderen vorzuwerfen, daß sie glücklich waren, während jemand, den sie nicht einmal kannten, trauerte und litt. Wenn es danach ginge, dürfte auf der ganzen Welt niemand mehr glücklich sein, überlegte sich Alvin. So, wie das Leben beschaffen war, dachte Alvin, gab es tagaus, tagein nicht einen Augenblick, in dem sich nicht mindestens ein paar hundert Menschen wegen irgend etwas grämten.
Kaum hatte das Schiff eine Biegung umfahren, als sie hinter sich ein Krachen im Gehölz hörten. Genauer gesagt hörte Alvin das Geräusch, und ihm erschien es wie ein Krachen, weil sein Sinn für die rechte Ordnung der Dinge im Grüngesang entwickelt war. Es dauerte noch einige Minuten, bevor Horace es überhaupt mitbekam. Wer immer es sein mochte, der sich gerade an sie anschlich, für einen Weißen war
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