Der magische Reif
es sprachlos an, ohne ausdrücken zu können, was er wirklich empfand. Ein Sakrileg, das Wort traf es vielleicht am besten. Man hatte ein unersetzbares heiliges Buch beschmutzt und zerstört.
Er schlug das, was von ihm übrig geblieben war, vorsichtig auf und begann, in den steifen, rissigen Seiten zu blättern, von denen einige zu feiner grauer Asche zerfielen, sobald er sie nur berührte.
»Eher am Ende«, schlug Lili vor. Tatsächlich waren die letzten Seiten am besten erhalten geblieben, auch wenn der Text häufig unter den schwarzen Schlieren verschwand und das Papier eine karamellartige Farbe angenommen hatte, die das Lesen erschwerte. Dank der identischen Doppelseiten war es jedoch möglich, wenigstens die Überschrift zu rekonstruieren:
Jahr 1 der Kirche der sieben Auferstehungen, ebenso wie hier und dort Bruchstücke einzelner Sätze:.. . die Entstehung einer neuen Religion, die einen so überwältigenden Erfolg hatte, dass ...;... der Pandit hofft, noch tausend Jahre zu leben, um seinem Werk eine universelle Dimension zu verleihen, die allein es ihm ermöglichen wird, in die Ewigkeit einzugehen; . . . Saint Mary ist so zum Zentrum eines Glaubens der Zeit geworden und die Geschichte übertrifft alles, was man . , , und so weiter.
»Was hältst du davon?«, fragte Sam, nachdem er alles, so gut es ging, entziffert hatte.
»Sieht so aus, als hätte Rudolf gewonnen, oder nicht?«, stellte Lili traurig fest. »Alicia hat mir erklärt, was ihr in der Zukunft gesehen habt. Die Bauarbeiten an der Kirche der sieben Auferstehungen, das Museum, das Rudolf hat bauen lassen, diese Artikel, in denen er erklärt, was er mit dieser Sekte vorhat . . . Wenn man davon ausgeht, was in diesem Buch steht, könnte man meinen, es wäre ihm gelungen, nicht?«
»Es ist ihm gelungen, ja . . . Er hat sich als eine Art Guru der Zeit ausgegeben. Und Tausende von Menschen haben ihm geglaubt, Hunderttausende vielleicht sogar. Genau das, was Setni verhindern wollte . . .«
»Meine Mutter macht sich große Vorwürfe«, sagte Lili zögernd. »Sie ist überzeugt, wenn sie etwas hellsichtiger gewesen wäre, hätte sie diese Katastrophe verhindern können. Und wenn du nicht wieder aufgewacht wärest, hätte sie sich niemals davon erholt.«
»Wir haben gestern sehr lange miteinander gesprochen«, sagte Sam. »Das hat uns . . . sagen wir, etwas nähergebracht.«
Lili schüttelte den Kopf. »Es gibt da, was sie und Rudolf angeht, trotzdem eine Sache, die mir Sorgen macht. Was meinst du, warum musste er sich unbedingt als ihr Verlobter ausgeben? Ich verstehe ja, dass sie für ihn eine Informationsquelle war, über deinen Vater und über dich, aber wozu dann eigentlich gemeinsam leben ? Kommt dir das nicht merkwürdig vor?«
Samuel nickte. Einmal mehr hatte ihn seine Cousine auf eine Sache hingewiesen, die zwar nebensächlich schien, deshalb aber nicht weniger rätselhaft war. Welches Interesse hatte Rudolf gehabt, seine Beziehung zu Evelyn voranzutreiben, wenn er genauso gut hätte auf Distanz bleiben können? Sam hatte in den letzten Stunden darüber nachgedacht und wahrscheinlich die Antwort gefunden.
»Weil sie deine Mutter ist, ganz einfach«, erklärte er.
»Na, das ist tatsächlich ein guter Grund!«, gab sie spöttisch zurück.
»Ein besserer, als du glaubst! Kannst du mir zum Beispiel erklären, warum du vor vier Tagen aus deinem Ferienlager zurückgekommen bist?«
Lili runzelte die Stirn.
»Na . . . erstens, weil das Essen miserabel war, und zweitens, weil du seit einer Woche verschwunden warst und ich das sichere Gefühl hatte, du würdest ohne mich nie wieder zurück in deine Gegenwart finden.« »Ich bin dir sehr dankbar, dass du mir zuliebe deine Ferien geopfert hast. Für einen Zeitreisenden ist es nämlich von unschätzbarem Wert, in seiner Umgebung jemanden zu haben, der ihn allein durch die Kraft seiner Gedanken zu seinem Ausgangsort zurückholen kann . . .«
Lili riss erstaunt die Augen auf, als ihr plötzlich klar wurde, worauf er hinauswollte.
»Du meine Güte! Willst du damit sagen, meine Mutter kann auch . . .«
»Natürlich! Erinnere dich an Setnis Worte . .. Die außergewöhnliche Gabe, die du besitzt, wird von der Mutter auf die Tochter vererbt!«
Lili starrte ihn mit offenem Mund an.
»Und deshalb wollte Rudolf deine Mutter nicht verlassen! Weil er mit ihrer Hilfe immer todsicher in seine Ausgangszeit zurückkehren konnte ... Viel leichter als mit seiner Tätowierung und dem Zeichen Hathors! Er musste
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