Der magische Reif
Denn der Krieg wird ja nicht ewig andauern, nicht wahr?«
Er warf Sam einen prüfenden Blick zu, um sicherzugehen, dass er ihm noch folgen konnte. »Ich werde dir also die Bücher anvertrauen, die ich auswähle, und du ordnest sie in der Vorhalle in die Truhe ein. Achte darauf, dass du sie nicht beschädigst! Danach werden wir die Truhe an einen sicheren Ort schaffen. Hast du alles verstanden? Und nimm diesen Helm ab, er wird dir hier nichts nützen.«
»Ich stehe zu Eurer Verfügung«, sagte Sam.
Wie hätte er seine Hilfe nicht anbieten können? Er hatte zwar gehofft, dass die Kriegswirren ihm den Zugang zur Bibliothek auf die ein oder andere Weise erleichtern würden – wenn es darum ginge, eine Fensterscheibe einzuschlagen oder ein Schloss aufzubrechen -, aber ihm wäre doch nie in den Sinn gekommen, dass er eine offizielle Einladung erhalten würde! Noch dazu vom Leiter der Bibliothek höchstpersönlich!
Er machte sich also eifrig ans Werk und gab sich die allergrößte Mühe, die Anweisungen zu befolgen und die schönen, manchmal mit Gold oder Edelsteinen verzierten Bände mit unendlicher Sorgfalt zu behandeln. Dabei lauschte er gewissenhaft den Ratschlägen oder Anekdoten, mit denen Bocceron ihn versorgte. Hinter dieser eilfertigen Fassade jedoch verlor Sam sein eigentliches Ziel nicht aus den Augen: Kluggs Abhandlung. Auf seinen zahlreichen Wegen zwischen den Sälen der Bibliothek stellte er fest, dass das Pulsieren der Zeit in seinem Brustkorb deutlicher wurde, sobald er sich dem dritten Saal näherte, ebenjenem, zu dem ihm der Zugang verwehrt war. Das war sicher kein Zufall. .. Denn so gründlich er auch die Schränke im lateinischen und im griechischen Saal durchsuchte, keins der dort eingelagerten Werke ähnelte auch nur im Entferntesten der Abhandlung von den dreizehn Kräften der Magie. Entweder stimmten die Informationen des Tätowierten nicht oder das begehrte Buch versteckte sich tatsächlich in der sogenannten Großen Bibliothek . . .
Nach einer halben Stunde intensiver Schlepperei entschied Bocceron, dass es sicher vernünftiger wäre, die bis zum Rand gefüllte Truhe nicht noch mehr zu beladen. Zumal draußen das von den Verteidigungsmauern dringende Kampfgetöse immer lauter zu werden schien, als ob die Angreifer allmählich zum Palast vordrangen . . .
»Es wäre zu gefährlich, sich noch länger hier aufzuhalten«, stellte Bocceron fest und zog sein schwarzes Gewand zurecht. »Eigentlich müssten wir noch hundert weitere Bücher mitnehmen, aber . . .«
Er verschloss die zum Bersten gefüllte Truhe und nahm einen der beiden metallenen Tragegriffe.
»Wir werden sie in die Engelsburg bringen«, erklärte er. »Es gibt dort einen Anbau, in dem das päpstliche Archiv lagert und wo die Werke in Sicherheit sind. Also, auf geht's, mein Junge!«
Sie gingen in die Knie und versuchten mit vereinten Kräften, die mächtige Truhe zu schieben, doch diese bewegte sich keinen Millimeter. Sie machten einen zweiten Versuch, dann einen dritten, wobei sie beide vor Anstrengung ächzten. Jedoch ohne Erfolg: Die Truhe stand da wie festgewachsen.
»Auch das noch!«, rief Bocceron und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Die Gedanken unserer Ahnen wiegen schwerer, als man denkt! Ich fürchte . . .«
Er öffnete den Deckel und betrachtete einen Augenblick die Anordnung der Bücher, dann besann er sich.
»Nein, es wäre ein Verbrechen, weniger mitzunehmen. Alles, was wir brauchen, ist Hilfe. Vier Männer und einen Handkarren, das sollte sich doch wohl finden lassen!«
Er legte zwei Finger an die Lippen und dachte angestrengt nach.
»Wenn ich es schaffen würde, bei Kardinal del Monte vorzusprechen«, murmelte er. »Ein wahrer Buchliebhaber. Um diese Zeit ist er sicher irgendwo auf der Seite vom Belvedere und . . .«
Bocceron drehte sich zu Samuel um:
»Ich sehe keine andere Lösung, als Verstärkung zu holen. Das Belvedere ist gleich dahinter, ich bin schnell wieder zurück. Bis dahin darfst du die Truhe nicht aus den Augen lassen und passt auf, dass kein Räuber in die Bibliothek eindringt. Plündern und Stehlen scheint in letzter Zeit an der Tagesordnung zu sein . . .«
Er versetzte seinem Gehilfen einen ermunternden Klaps auf die Schulter und eilte erstaunlich schnellen Schrittes davon. Samuel sah, wie er kurz darauf unter dem nebelverhangenen Säulengang des Innenhofes verschwand. Er hatte ein paar Minuten Zeit, sich Kluggs Abhandlung zu beschaffen . . .
13.
In der Höhle des
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