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Der magische Reif

Der magische Reif

Titel: Der magische Reif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Prévost
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Schlüssel. Sam schaffte es gerade noch, ihn zu ergreifen, bevor sich die Fänge des Löwen mit einem tiefen Grollen wieder schlossen. Er hatte ihn! Den winzigen Schlüssel fest mit seiner Hand umschließend, eilte er zurück zum Tresor und steckte ihn ins Schlüsselloch. Zunächst knirschte das Schloss, als wollte es protestieren, doch schließlich ließ sich die Tür öffnen. Dahinter kam ein in die dicke Mauer gemeißeltes Regal zum Vorschein, auf dem mehrere Bücher unterschiedlicher Größe mit verschiedenen Einbänden lagerten. Sein Blick blieb an einem Buchrücken hängen, über den sich ein Netz feiner dunkler Fäden spannte. Er zog es heraus: auf dem blassgelben Buchdeckel prangte eine große rote, orientalisch anmutende 13, genau wie auf dem Exemplar des Archäologen Chamberlain. Abgesehen von der Farbe konnte es sich um die Abhandlung von den dreizehn Kräften der Magie handeln . . .
    Sam zwinkerte ein paarmal, um sein Herz aufzufordern, den normalen Rhythmus wieder aufzunehmen. Zuerst passierte nichts, dann löste sich sein eigener Puls mit einem einzigen Schlag von der langsamen Frequenz, die ihm als Richtmaß gedient hatte. Ein lautes Klacken zeriss die Luft und die Zeit schien sich kurz zu überdehnen, bevor sie ruckartig in ihr altes Tempo zurücksprang. Sofort verblasste auch der grüne Filter und Sam konnte Kluggs Abhandlung in ihrer ganzen Pracht bewundern. Die wunderbare blaue Farbe, die leuchtenden Ziffern, das seidenartige Material des Einbands, das sich trotz seines Alters immer noch so geschmeidig anfühlte ... Das »Sesam-öffne-dich«, mit dem er Alicia befreien würde!
    »Es dauert nicht mehr lange«, murmelte er, als wäre sie ihm ganz nah. »Vertraue mir . . .«
    Nervös durchblätterte er die Seiten des Buches, um sicherzugehen, dass er nicht an eine weitere Mogelpackung geraten war: dieselben Zeichnungen von Sonnensteinen an unterschiedlichen Orten, alchemistische Formeln, die furchtbare Fledermaus mit dem Kindskopf . . . Kein Zweifel, es war das richtige. Anders als beim letzten Mal, als er die Kopie der Abhandlung in Chamberlains Zelt durchgeblättert hatte, konnte er jetzt den arabischen Text nicht lesen. Anderer Ort, anderes Wörterbuch! Die roten Anmerkungen des Alchemisten dagegen konnte er einigermaßen verstehen, wenn auch nicht jedes Wort. Sam sprach momentan ein Italienisch oder Römisch, das Kluggs Latein sicher sehr nahe war. Auch die berüchtigte Inschrift über die Funktionsweise des Sonnensteins kam der von Lili angefertigten Übersetzung aus dem Lateinischen sehr nahe.
    Dann wandte er seine Aufmerksamkeit den letzten Seiten zu, die angeblich seit der Plünderung Roms verschwunden waren. Welch ein Glück! Sie waren vollständig und noch vollkommen unbeschädigt! Etwa ein Dutzend Seiten, angefüllt mit Zeichnungen und Kommentaren in roter Tinte. Eine Statue des Gottes Thot, überaus detailreiche Abbildungen der beiden Goldreifen, das Porträt eines Mannes mit Turban, Wappen, kabbalistische Zeichen . .. Gern hätte Samuel sich das Ganze in Ruhe angesehen, aber dazu war jetzt keine Zeit: Jeden Augenblick konnte der Bibliothekar zurückkommen, er musste schnell wieder alles an seinen Platz bringen.
    Gerade wollte er die kleine Tresortür wieder zumachen, als ihn ein Gedanke zurückhielt: Was musste sich in den Seiten dieser Schriften verbergen, damit man sie in einem Tresor aufbewahrte, dessen Schloss so gut wie niemand öffnen konnte? Dieses dicke Buch mit dem so unschuldig aussehenden weißen Einband zum Beispiel? Samuel zog es heraus und schlug es willkürlich auf. Ein gedruckter Text mit gotischen Schriftzeichen und handgemalten Abbildungen . . . Die Sprache war ihm unbekannt, die Sequenz sich wiederholender identischer Doppelseiten allerdings ganz und gar nicht. Immer wieder die gleiche Überschrift, der gleiche mit seiner Krone auf dem Haupt dargestellte König . . . Ein anderes Buch der Zeit?
    Samuel schlug ein anderes Buch auf, diesmal mit dunklem Einband, in dem die Initialen jedes einzelnen Absatzes mit einer gemalten Vignette hervorgehoben waren. Auch hier, vom Anfang bis zum Ende, hundertmal der gleiche Inhalt! Genauso beim dritten, dessen Einband in Fetzen zerfiel, und bei einem vierten von länglichem Format. Nichts als Bücher, deren Seiten sich wiederholten . . . Die Bibliothek des Papstes beherbergte eine ganze Sammlung von Büchern der Zeit!
    Samuel verharrte sekundenlang sprachlos vor seiner Entdeckung, unsicher, was er davon halten sollte, bis ihn das

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