Der magische Reif
Geräusch knirschender Wagenräder von draußen aus seiner Verblüffung riss. Ein Karren oder Handwagen rumpelte durch den Papageienhof . . . Hatte Bocceron die erhoffte Hilfe gefunden? Sam legte das Buch der Zeit, das er noch immer in der Hand hielt, zurück und stützte sich dabei auf ein kleines versiegeltes Elfenbeinkästchen. Beinahe wäre es ihm auf den Boden gefallen, doch er fing es im letzten Moment auf, bevor er die Tür zum Geheimfach wieder zuschlug – ein bisschen zu laut für seinen Geschmack. Die draußen über das Pflaster rollenden Räder wurden immer lauter. Schnell hängte Sam den Spiegel zurück an seinen Platz. Was allerdings den goldenen Schlüssel betraf . . . egal, er würde ihn behalten! Er ließ ihn in seine Tasche gleiten, überprüfte ein letztes Mal, ob der Spiegel auch gerade hing, und lief mit großen Schritten zurück in die Vorhalle, Kluggs Abhandlung fest unter den Arm geklemmt. Er kam gerade bei der Truhe an, als ein Trupp Soldaten, angeführt vom Bibliothekar, aus dem Nebel auftauchte. Ohne lange zu überlegen, schob er die Abhandlung unter eine schwere säulenverzierte Anrichte.
»Ah! Du bist noch da«, begrüßte Bocceron ihn zerstreut. »Das ist gut. Kardinal del Monte hatte die Güte, mir Verstärkung zu besorgen, allerdings muss ich dafür eine gewisse Aufgabe für seine Heiligkeit erfüllen und . . .« Ihm war offenbar nicht besonders wohl bei der Sache, etwas ganz anderes als seine wertvollen Bücher schien ihn zu beschäftigen.
»Folgt mir«, sagte er an den einzigen Mann gewandt, der nicht militärisch gekleidet war und dessen kantiges Profil an einen Raubvogel erinnerte. »Ihr anderen«, wies er die vier Soldaten an, die sich im Hintergrund hielten, »hebt die Truhe auf den Wagen und wartet, bis ich zurückkomme. Und dass mir niemand auf die Idee kommt, darin herumzuwühlen, verstanden?«
Während die Schweizergardisten sich daranmachten, seine Anweisung zu befolgen, zog der Mann mit dem Adlergesicht einen silbernen Schlüssel aus seinem weiten braunen Umhang und winkte damit dem Bibliothekar.
»Wollen wir? Der Pontifex Maximus ist an diesem Morgen nicht geneigt, sich in Geduld zu üben . . .«
Bildete er es sich nur ein oder sah der Schlüssel bis auf die Farbe aus wie ein Zwilling dessen, den Sam soeben dem Maul des Löwen entrissen hatte? Die gleiche Größe, die gleiche Form . . . das gleiche Schlüsselloch? Bocceron nahm den Schlüssel zwischen die Finger und hielt ihn in das schwache Licht:
»Ich sehe ihn zum ersten Mal«, hauchte er. »Und ausgerechnet in einem solchen Moment, wo vielleicht alles verschwinden wird!«
»Und es sind diese Umstände, die die Anordnungen des Heiligen Vaters rechtfertigen«, gab der andere zurück. »Wenn wir jetzt also fortfahren könnten . . .«
Sie entfernten sich in Richtung des lateinischen Saales, ohne Sam, der beschloss, ihnen in einigem Abstand zu folgen, auch nur im Geringsten zu beachten. Konnte es sein, dass es einen zweiten Schlüssel gab, um das Geheimfach hinter dem Spiegel zu öffnen? Und wenn der Tresor tatsächlich ihr Ziel war, was suchten die beiden Männer dort? Samuel hatte eine ungute Vorahnung: die Abhandlung von den dreizehn Kräften der Magie . . .
Er drückte sich an den Wänden entlang bis zum griechischen Saal und schlich so weit wie nur möglich an den Eingang zur Großen Bibliothek heran. Die beiden Männer waren im linken Teil des Raumes stehen geblieben, dort wo sich das Versteck befand. Autsch! . . .
»Ich . . . ich weiß wirklich nicht, was da drin ist«, sagte Bocceron gerade. »Mein Vorgänger, Nuntius Moretti, hat mir bei meiner Ankunft von der Existenz dieser Geheimtür berichtet... Er selbst war noch ein junger Gehilfe, als die Arbeiten an der Bibliothek abgeschlossen wurden, das war vor mehr als fünfzig Jahren. Papst Sixtus IV., dem wir diese Bauwerke hier verdanken, hatte einen ägyptischen Architekten mit der Anlage des Verstecks beauftragt. Ein seltsamer Mensch, laut Moretti, aber von unvergleichlicher Bildung . . .«
Samuel stockte der Atem. Ein seltsamer Ägypter . . . Setni? Es gab ein leichtes Geräusch auf den Thesen, das Sam verriet, dass die beiden Männer gerade den Spiegel abgesetzt haben mussten.
»Erstaunlich, nicht wahr?«, hörte er Bocceron sagen. »Seit ich meine Stellung hier angetreten habe, habe ich mich schon mehr als einmal gefragt, was sich wohl hinter diesem seltsamen Spiegel verbergen könnte. Der Nuntius hatte mir erklärt, dass es ursprünglich zwei
Weitere Kostenlose Bücher