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Der magische Reif

Der magische Reif

Titel: Der magische Reif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Prévost
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war im Nu verdunstet. Sie rührte sich immer noch nicht. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die Flammen und versuchte, die Zeit einzuschätzen, die ihm noch blieb, um sie wiederzubeleben: Offenbar war das Feuer im Papierkorb unter dem Schreibtisch ausgebrochen, hatte die Vorhänge dahinter erfasst, bevor es daneben auf das Bücherregal übergegangen war. Jetzt begann es, die Poster an der Wand zu verzehren und gleichzeitig den violetten Teppich am Fußende des Betts. Neben einem Stapel Zeitschriften unter dem Fenster erkannte er eine dunkle, rechteckige Form. Noch eine Gasflasche, bereits von den Flammen umschlossen . . .
    »Lili«, versuchte er es noch einmal und schüttelte sie mit aller Kraft. »Wir müssen hier weg. Du musst unbedingt . . .«
    BUUMMM! Seine letzten Worte gingen in einer Detonation unter, die ihm fast das Trommelfell zerriss. Das ganze Haus erzitterte bis in die Grundmauern und ein Hitzeschwall fegte durchs Zimmer. Instinktiv warf Sam sich schützend über seine Cousine, er spürte den glühenden Hauch der Explosion in seinen Haaren und auf der Haut. Erst Sekunden später wagte er, den Kopf zu heben, als die Mauern aufgehört hatten zu zittern und die Luft stillzustehen schien. Die Bettlaken, die Möbel, der Fußboden, alles um ihn herum war mit einer feinen grauen Staubschicht überzogen. In der heißen Luft schwebten ganze Wolken feiner glühender Partikel. Er spuckte den Staub aus, der ihm Mund und Nase verklebte, und legte die Hände auf die Ohren. Ein unglaublicher Schmerz pochte in seinen Schläfen und er konnte kaum noch etwas hören, nur ein Hintergrundgeräusch wie das Knistern eines Transistorradios. Wenn er zum Fenster hinsah, schien – abgesehen von der Staubschicht und den herumwirbelnden Papierfetzen – alles unverändert: das Feuer fraß sich weiter auf das Bett zu, aber die Gasflasche war noch intakt. Die Explosion musste von irgendwoher aus dem Erdgeschoss gekommen sein, aus der Küche vielleicht oder aus der Garage . . . Auf dem Treppenabsatz sah man rote Flammensäulen emporschlagen, das Feuer musste das gesamte Erdgeschoss erfasst haben. Er durfte nicht warten, bis eine zweite Explosion losbrach, vor allem nicht drei Meter von ihnen entfernt.
    Samuel schob die Arme unter den reglosen Körper seiner Cousine und rollte sie zur Bettkante, dann ging er in die Knie und legte sie, so gut es ging, über seine Schulter. Ächzend hob er sie auf, sie wog mindestens eine Tonne . .. Mit kleinen Schritten ging er Richtung Treppe, seine wertvolle Last fest an sich gedrückt. Die Geräusche von außen hörten sich seltsam an, als hätte er einen Helm mit Gehörschutz auf dem Kopf. Er fragte sich kurz, ob er vielleicht taub war, doch diese Sorge wurde schnell von einer anderen, viel wichtigeren verdrängt: Zwar war die Treppe noch begehbar, doch der untere Absatz war bereits von einem Flammenmeer umzingelt und der Zugang zum Wohnzimmer absolut unmöglich . . . Den Flur, der zu den Schlafzimmern im Erdgeschoss führte, sah man schon nicht mehr, dichter schwarzer Qualm breitete sich überall aus. Sam wollte schon den Rückzug antreten, um oben auf die Feuerwehrleute zu warten, doch das hieße, sich einer noch größeren Gefahr auszusetzen: der Gefahr, von der Explosion der Gasflasche in Stücke gerissen zu werden.
    Also blieb ihm nur noch eins übrig . . .
    Sam konzentrierte sich und schloss die Augen. Er erinnerte sich genau an den Moment neben Diavilos Zelt, als die Welt um ihn herum anzuhalten schien, als hätte jemand auf Pause gedrückt, und die ganzen Lagerfeuer wie erstarrt waren. Den Fluss der Zeit aufzuhalten . . . Wäre das nicht eine Möglichkeit, durch die Flammen hindurchzukommen? Natürlich nur, wenn er in der Lage wäre . . .
    Er zwang sich, tief in sich hineinzutauchen. Doch kaum hatte er damit begonnen, sich die regelmäßige Bewegung seiner Herzkammern vorzustellen, als ein stechender Schmerz, wie schon in der Residenz des Pandits, durch seinen Brustkorb fuhr. Als würde man ihm einen Nagel durchs Herz schlagen ... Er schwankte, doch Lilis Gewicht auf seinen Schultern erinnerte ihn an seine Aufgabe: Er durfte jetzt nicht schwach werden. Er biss die Zähne zusammen und fuhr trotz des Schmerzes fort, den Rhythmus seines Herzschlags zu verlangsamen, bis er ihn in den Gleichklang mit dem Pulsieren des Sonnensteins in seinem Innersten zwingen konnte. Doch viel länger würde er nicht aushalten können, ihm fehlten einfach die Kräfte, seine Konzentration mehr als eine Handvoll

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