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Der magische Reif

Der magische Reif

Titel: Der magische Reif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Prévost
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allem losgelöst, ein Wesen des Meeres. Er würde zu seiner Mutter schwimmen . . .
    »Wir verlieren ihn, wir verlieren ihn . . .«, hörte er in der anderen Welt jemanden schreien.
    Dann berührte etwas zärtlich seine Lippen. Etwas unendlich Lebendiges, mit dem süßen Geschmack eines Versprechens. Ein Kuss ... Ein Kuss voller Sonne und Lachen, voller Glück und Ewigkeit . . . Ein Kuss voller Leben. Er glaubte, Alicias zartes Gesicht zu sehen, doch es war wahrscheinlich nur sein neuer Zustand, der diese Illusion hervorrief, denn in Wirklichkeit sahen seine Augen nur einen verschwommenen Nebel, in den sich rote und gelbe Punkte mischten. Der Kuss hielt jedoch länger an und Samuel hatte ein Gefühl, als würde er langsam aus seiner Wasserblase gesogen, als ob eine unwiderstehliche Kraft ihn aus seinem neuen Paradies herausriss. Er spürte, wie sein Körper wieder zu funktionieren begann, und all die Schmerzen, von denen er sich eben noch befreit hatte, setzten mit einem Schlag wieder ein, als wäre sein ganzer Körper eine einzige offene Wunde. Er bäumte sich auf vor Schmerzen, versuchte vergeblich, den Mund zu öffnen, um zu atmen, verharrte drei bis vier Sekunden in diesem Erstickungsanfall, dann verlor er endgültig das Bewusstsein.
    Unbestimmte Zeit später kam Sam wieder zu Bewusstsein. Sein Geist tauchte aus einem Mahlstrom wirrer Bilder auf, in denen sich die geliebten Menschen seiner Familie mit Scheusalen wie Rudolf und Kapitän Diavilo mischten. Albtraumhafte Szenen, in denen Feuersbrunst und Sintflut sich um ihn stritten, weiße Gestalten, die plötzlich auftauchten und wieder verschwanden, Krankentragen und Spritzen, der Geruch nach Alkohol und das Gebimmel irgendwelcher Geräte. Er zwinkerte, um seine Augen an das grünliche Licht der Neonlampen zu gewöhnen, und sah, dass er ausgestreckt auf einem Krankenbett lag, in einer Art blauem Papierschlafanzug steckte. Auf seiner Brust klebte ein Gewirr aus Elektroden und eine Infusionsnadel in seinem Arm verband ihn mit einem Tropf. Vorsichtig bewegte er Beine und Finger und spürte, wie seine Hand an den Stellen spannte, an denen man ihm Gazekompressen aufgelegt hatte. Reflexartig fasste er in die Herzgegend, doch das unerträgliche Druckgefühl, das er immer wieder gespürt hatte, war verschwunden. Eigentlich fühlte er sich gar nicht so schlecht... Er warf einen Blick auf die neben seinem Bett aufgereihten Bildschirme und blinkenden Dioden und erkannte auf einem der Messgeräte das Logo des Krankenhauses von Saint Mary. Was bedeutete, dass er ganz in der Nähe von seinem Vater war und nur aufstehen musste, um zu ihm zu gehen . . .
    »Ich bin froh, dass es dir besser geht«, sagte eine Stimme hinter ihm.
    Samuel drehte sich um. Jemand saß ein Stück vom Kopfende des Bettes entfernt, in der dunkelsten Ecke des Zimmers.
    »Tante Evelyn?«, fragte er erstaunt. »Du ... du bist hier?«
    »Ich wache schon seit zwei Tagen hier an deinem Bett, seit sie dich in die Klinik gebracht haben. Ich wollte dabei sein, wenn du wieder bei uns bist.«
    »Zwei Tage«, wiederholte Sam, weniger überrascht über die Zeit als über die unerwartete Fürsorglichkeit seiner Tante.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte sie besorgt.
    »Nun ja ... ich fühle mich zwar, als hätte ich einen Autobus verschluckt, aber ansonsten scheine ich es ganz gut überstanden zu haben.«
    Evelyn trug ihren Stuhl näher ans Bett und legte – kaum zu fassen – liebevoll ihre Hand auf seinen Unterarm.
    »Der Arzt hat gesagt, du musst dich ausruhen, Samuel. Du hattest eine . . . eine Art Herzanfall.« Sam kniff ungläubig die Augen zusammen.
    »Eine Art Herzanfall?«
    »Ja, es scheint so ... Den Untersuchungsergebnissen nach hattest du jedenfalls alle Symptome. Doch der Arzt ist zuversichtlich, er glaubt, dass du keinerlei Folgekrankheiten haben wirst. Die Rettungskräfte waren vor Ort, sie haben sich sofort um dich gekümmert, das hat dir das Leben gerettet. Jetzt musst du wieder zu Kräften kommen, versprochen?«
    Zum ersten Mal seit Langem schien Tante Evelyn nicht auf die ganze Welt, insbesondere auf ihren Neffen, böse zu sein. Ihr Gesicht wirkte zwar immer noch etwas verkrampft, doch es war weicher geworden und in ihrer Art zu sprechen und zu lächeln lag beinahe etwas.. . Mütterliches.
    »Wie geht es Lili?«, fragte Sam. »Und Grandma und Grandpa?«
    »Also, was Lili angeht, es ist wie ein kleines Wunder. Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, bei all den Flammen und Explosionen, aber ... sie

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