Der magische Reiter reiter1
Allee der Helden bestattet werden können. Hier öffnen sie den Leichnam vom Kinn …«, er legte den Finger an ihr Kinn und zog eine Linie bis zu ihrem Magen, »… bis zum Unterleib, damit die Seele dem Körper entrinnen und himmelwärts schweben kann. Das ist ein uralter Ritus.«
Karigan setzte sich mit klopfendem Herzen auf. Plötzlich
fürchtete sie sich vor Fastion. Hier lag sie nun, ausgestreckt auf einer Steinplatte, auf der sonst die Könige einbalsamiert und fürs Grab vorbereitet wurden. Was hatte Fastion vor?
»Sachte«, sagte er, »sonst bricht deine Wunde wieder auf.« Dann erkannte er offenbar, wie sehr sie sich fürchtete, denn er verschränkte die Arme und sagte: »Wenn ich die Absicht hätte, dich auf den Tod vorzubereiten, hätte ich wohl kaum diese Schwertwunde verbunden, und deine Seele wäre schon vor langer Zeit in den Himmel aufgestiegen.«
Zaghaft berührte Karigan ihre Seite dort, wo Jendaras Schwert sie getroffen hatte. Sie war tatsächlich mit Leinen verbunden.
»Hier gibt’s jede Menge Bandagen«, sagte Fastion.
»Um die Toten einzuwickeln?«
Er nickte.
»Tut mir leid, dass ich dir nicht getraut habe, aber es war ein sehr langer Tag, und hier ist es seltsam …«
»Auch für mich ist es hier seltsam. Dieser Raum ruft … Erinnerungen in mir wach.« Fastion ließ seinen Blick durch das Gemäuer schweifen, als suche er nach Bildern der Vergangenheit. »Bevor ich Waffe bei König Zacharias wurde, war ich Gruftwache. Ich beschützte König Amigasts ewigen Schlaf und wachte darüber, dass die Chirurgen nichts mit ihm anstellten, was ihm oder seiner Seele Schaden hätte zufügen können. Wie gesagt, es sind uralte Riten.«
»Ich möchte von der Steinplatte runter«, sagte Karigan. Es war einfach zu viel.
Fastion legte ihr die Hand auf die Schulter und drückte sie zurück. »Mir ist klar, wie unbequem das für dich sein muss, aber du solltest dich ausruhen, solange du kannst. Du wirkst schwach und hast viel Blut verloren. Wir können uns unterhalten,
während du dich erholst. Doch zunächst muss ich wissen, ob du Neuigkeiten vom König hast.«
»Er lebt.«
Freude huschte über Fastions sonst so ausdrucksloses Gesicht, und jeder Zweifel an seinen Absichten löste sich in Nichts auf. »Dann besteht Hoffnung«, sagte er.
Karigan erzählte ihm von den Ereignissen des Tages und weshalb sie in die Burg gekommen war. »Ich muss zu ihnen zurück und ihnen sagen, was ich gesehen habe. Mein eigener Vater ist im Thronsaal gefangen, bei Amilton und Jendara.«
»Die Verräterin!«, platzte Fastion wütend heraus. »Ich hätte ihr im Gang den Garaus gemacht, doch ich hatte mit dir alle Hände voll zu tun.«
»Tut mir leid«, sagte Karigan.
»Es braucht dir nicht leidzutun. Ich bin froh, dass ich dir helfen konnte, nach allem, was du mir erzählt hast. Jendara zu töten hätte mir eine gewisse Genugtuung bereitet, doch es hätte alle aufgeschreckt und jede Hoffnung zunichtegemacht. Weißt du, ich versuche, die Grüfte zu erreichen. Ich erwarte, dort noch andere zu finden, weitere Waffen. Ich hoffe, dass Amilton sie vergessen hat oder es ihnen gelang, den Angriffen seiner Streitmacht zu widerstehen.«
»Wie viele, meinst du, sind es?«, fragte Karigan.
»Möglicherweise bis zu zwanzig, doch vermutlich eher weniger. Wie du weißt, ist eine Waffe vier oder mehr gewöhnliche Soldaten wert.«
»Ja«, sagte Karigan. »Das weiß ich.«
Fastion sah erfreut aus. »Wir verfügen vielleicht über keine Grünenmagie, aber wir besitzen unsere eigenen Fähigkeiten. Wir haben auch Geheimnisse.«
Karigan lag schweigend da. Die Kälte des Steins drang ihr
allmählich in die Knochen, und die Enge des Raums setzte ihr zu. Es ließ sich unmöglich sagen, wie viel Zeit verstrichen war, doch die halbe Kerze war abgetropft, während sie miteinander sprachen.
»Fastion«, sagte sie. »Ich muss zum König und zu den anderen zurück, um sie wissen zu lassen, was ich erfahren habe.«
»Kannst du stehen?«
Sie ließ die Beine über den Rand der Platte baumeln. Ihr Schädel dröhnte wie wild. Fast wäre sie wieder auf den Stein zurückgesunken.
»Eines nach dem andern«, sagte Fastion.
Er brachte etwas getrocknetes Fleisch und Wasser zum Vorschein, das noch von seinem Mittagessen übrig war. Erst ein halber Tag war vergangen, seit Karigan mit Alton beim Picknick in der Sonne gesessen hatte. Würde sie die Sonne jemals wiedersehen? Das Essen weckte ihre Lebensgeister beträchtlich, und sie fühlte sich schon
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