Der magische Reiter reiter1
sehen.
Hauptmann Immerez saß auf dem Boden, von Kopf bis Fuß besudelt von dem Blut, das aus seinem Handgelenk sprudelte. Seine abgetrennte Hand lag auf der Erde, fahlweiß, die Finger noch um den Griff der Peitsche gekrallt.
Angewidert wollte Karigan sich vom Okular abwenden, doch etwas hielt sie fest.
Diese Grüne bringe ich um. Heiser und nah drang Immerez’ Flüstern an ihr Ohr.
Als werde eine Seite umgeblättert, wechselte die Szene plötzlich. Dunkelheit brandete über Karigan hinweg wie ein Meer aus schwarzer Tinte. Dann erschien Immerez’ Gesicht vor ihr, ein glühender Augapfel, die Züge abwechselnd in Schatten und flackerndes Licht – wie von einer Kerze oder einem Feuer – getaucht. Sein Gesicht näherte sich ihrem, und er wandte den Kopf, um sie mit seinem einen Auge anzustarren. Die Schatten spielten über seine Züge und verdunkelten eine Hälfte des Gesichts. Er lächelte.
Klebrige Feuchtigkeit tropfte ihr in die Augen, und Immerez verschwamm zu einem flirrenden Nebel. Sie blinzelte, und die Umrisse seines Gesichts wurden deutlicher. Er zog sich zurück und war wieder von Schwärze umgeben. Er zeigte ihr den handlosen Stumpf, dessen Gelenk nun mit einem Metallhaken versehen war. Sorgfältig und langsam drehte er ihn, damit sie ihn von allen Seiten sehen konnte. Er funkelte im Schein der unbekannten Lichtquelle.
Dann grub Immerez ihr den Haken dicht unter dem Auge ins Fleisch. Der jähe, kalte Schmerz ließ sie aufkeuchen.
Du kommst mir gerade recht, Grüne, sagte er.
Unter ihrem Auge tobte der Schmerz. Sie gab einen erstickten Laut des Entsetzens von sich, wollte aufschreien, doch ihre Stimme klang nur gedämpft, und sie bekam kaum noch Luft. Sie versuchte, an ihre Wange zu greifen, konnte aber die Hände nicht mehr bewegen, gerade so, als wären sie gefesselt. Ihr Atem ging stoßweise und pfiff in ihren Ohren. Diese Schmerzen …
Dann faltete Immerez’ Gesicht sich zusammen, und der Schmerz verging.
Die nächste Szene erblühte himmelblau, mit langsam in einer kühlen Frühlingsbrise dahinziehenden Wolken. Karigan stand mitten im Grün des Übungsfelds von Selium. Es war mit ausgetretenen, lehmigen Übungskreisen übersät. Eine Schülermenge drängte sich um sie herum. Karigan hielt Timas Mirwell, der bäuchlings vor ihr auf dem Boden lag, die Spitze des hölzernen Übungsschwerts an den Nacken.
Du bist tot, sagte sie.
Timas spuckte Lehm aus. Das Gebrüll der Zuschauer wich einer schmerzlichen Stille. G’ladheon, sagte er, das war ein schmutziger Schwertkampf – gegen die Regeln! Er rappelte sich auf und wischte sich Dreck und Speichel vom Mund. Er war ein kleinwüchsiger Junge und musste zu ihr aufschauen.
Ich weiß nich’, Timas, sagte einer der Zuschauer. Ob es nun gegen die Regeln war oder nich’, sie hat gewonnen. Zustimmendes Murmeln erhob sich von der Menge.
Karigan, die Beobachterin, mühte sich ab, vom Teleskop wegzukommen, konnte sich aber noch immer nicht rühren. Muss ich das noch einmal durchleben? Wie zur Antwort setzte die Szene sich ohne Unterbrechung fort.
Es war nicht gerecht!, rief Timas.
Du hast das mit dem Schwertkampf einfach noch nicht
raus, sagte ein anderer, und viele in der Menge lachten. Von wegen Klassenbester!
Timas schäumte vor Wut. Karigan grinste ihr Publikum an und machte eine tiefe, spöttische Verbeugung. Timas sprang auf ihren ungedeckten Rücken zu und schmetterte ihr das Holzschwert an die Schulter. Benommen stürzte sie auf Hände und Knie. Rasender Schmerz pulsierte durch ihren Rücken. Die Menge sah schweigend zu, unfähig zu irgendeiner Reaktion.
Was geht hier vor?
Die Menge machte einem stämmigen Mann mit stahlgrauem Haar Platz. Waffenlehrer Rendel schlang seinen Arm um Timas’ Brust und drückte dessen Handgelenk nach unten, um ihn zu zwingen, das Übungsschwert fallen zu lassen. Er ließ erst los, als Timas nicht mehr zappelte und um sich trat.
Dann ergriff er Karigans Hand und zog sie auf die Beine. Alles in Ordnung?, fragte er barsch.
Karigan beobachtete auch noch den Rest – wie Lehrer Rendel Timas für seinen hinterhältigen Angriff dadurch bestrafte, dass er ihm einen Monat allermiesester Plackerei aufbrummte; wie der Waffenlehrer sich über ihre Fähigkeiten mit dem Schwert äußerte und ihr anbot, sie als Privatschülerin anzunehmen. Ja, das alles war ihr nur zu vertraut. Doch was ihr zuvor entgangen war, was sie nicht gesehen hatte, das war, dass Timas Mirwell das Gespräch zwischen ihr und dem Waffenlehrer aus
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