Der magische Reiter reiter1
Sohn des
Statthalters entehrt und damit den gesamten Clan, und diese Kränkung werden sie, falls erforderlich, das ganze nächste Jahrhundert nicht vergessen.«
Falls erforderlich. Stevic nahm einen großen Schluck Bier und setzte den Krug mit einem Klack auf dem knorrigen Kieferntisch ab. Es war später Nachmittag, und im Gasthaus hatten die Lustbarkeiten noch nicht begonnen. Die Musik würde erst zur Essenszeit einsetzen. Er glaubte ohnehin nicht, dass er die Ruhe hätte, sich daran zu erfreuen.
Nur wenige andere Freunde der schönen Künste saßen ruhig an den Tischen und nippten an ihrem Wein oder Bier, während das Sonnenlicht träge durch die Fenster fiel. Stevic drehte den Goldring an seinem Finger und ignorierte das dampfende frische Brot und die Käseplatte, die der Gastwirt vor ihnen auf den Tisch gestellt hatte.
»Du denkst an Kari«, sagte Sevano.
Stevic nickte. »Sie ist meine Tochter … noch ein kleines Mädchen.«
»O nein, ein kleines Mädchen ist sie nicht mehr! Jung, ja, aber nicht mehr klein. Du weißt doch, sie hat sich schon in die Nesseln gesetzt. Es passt zu ihr, sich auf eigene Faust auf den Heimweg zu machen. Und nicht zu warten, bis du eintriffst, nicht angesichts der Demütigung, die dieser Schulverweis für sie bedeutet haben muss. Ich kenne den Stolz der G’ladheons, weiß Gott.« Er kicherte. »Du hättest an ihrer Stelle genauso gehandelt.«
Stevic lächelte. »Als ich in ihrem Alter war, habe ich etwas Ähnliches getan. Ich habe mich auf einer Handelsbarke anheuern lassen, aber …«
»Aber sie ist ja noch dein Mädchen.« Sevano schüttelte
den Kopf. »Sie ist bereits aus dem Nest geflüchtet, hat ihre Schwingen ausgebreitet. Willst du das verhindern?«
»Nein, natürlich nicht. Ich … Aber du hast doch all die Gerüchte über die merkwürdigen Vorgänge gehört, während wir hierher gereist sind. Bei Breyans Gold, Sevano, schon den ganzen Winter über geschehen merkwürdige Dinge. Zum ersten Mal seit mindestens hundert Jahren hat man das Baumvolk außerhalb des Eltforsts gesehen, und du hast genau wie ich von den Erdriesen gehört, die über die Grenzen gekommen sind. Willst du mir sagen, dass ich mir um meine Tochter keine Sorgen machen soll?«
»Nein.« Der ältere Mann starrte in seinen Krug und nahm sich lustlos ein Stück Käse, das er dann doch wieder auf die Platte zurückwarf. »Ich mache mir ja auch Sorgen. Doch vergiss nicht, ich habe ihr eine Menge über das Überleben beigebracht, und dieser Rendel klingt nach einem guten Mann. Ich bin sicher, sie hat viel von ihm gelernt.«
»Ihr beide habt ihr den Schwertkampf beigebracht. Ich nehme nicht an, dass sie ein eigenes Schwert besitzt.«
»Ich hab ihr weit mehr beigebracht als nur den Umgang mit dem Schwert, weiß Gott. Sie könnte sich mit bloßen Händen verteidigen. Sie ist für mich wie eine Enkelin, auch wenn wir keine Blutsbande teilen.«
Minutenlang saßen die beiden schweigend da. Ein Albdruck lastete auf ihren Schultern. Sie wurden aus ihren Grübeleien gerissen, als knarrend die Tür aufging und blendender Sonnenschein in den Gemeinschaftssaal fiel. Ein junger Mann trat über die Schwelle und verharrte kurz, bis seine Augen sich an das Halbdunkel im Innern gewöhnt hatten. Über einem weißen Leinenhemd trug er ein grünes Wams. Auch seine Hose und der Mantel, den er über den Unterarm geworfen hatte,
waren grün. Um seine Taille war eine schlichte schwarze Schwertscheide geschnallt, in der ein Säbel steckte.
Stevic sah zu, wie der Grüne Reiter seinen suchenden Blick durch die Tiefen des Gemeinschaftsraums schweifen ließ. Plötzlich trat ein Ausdruck des Erkennens in die Augen des Boten, und er schritt auf sie zu, ohne dass die Sohlen seiner Stiefel auf dem Holzboden einen Laut verursachten. Stevic fragte sich schon, was der Reiter von ihnen wollte, doch er blieb nicht an ihrem Tisch stehen. Vielmehr ging er bis zur Nische hinter ihnen weiter. Wegen des hohen Trenngitters bekam Stevic nicht mit, zu wem der junge Mann sich setzte, doch er erkannte die Stimme sofort.
»Connli«, sagte Hauptmann Mebstone. »Schön, dich zu sehen. Wie war es auf der Straße?«
Der Reiter murmelte etwas Unverständliches, und Stevic strengte sich an, um mehr von der Unterhaltung zu verstehen.
»Du musst mit Joy Verbindung aufnehmen, wegen F’ryan und seiner verschollenen Botschaft. Alle verfügbaren Reiter und Reiterinnen müssen die Straßen und Dörfer absuchen und dabei die Augen ganz weit offen halten.
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