Der magische Reiter reiter1
stillzustehen. Kälte durchströmte Karigans Körper – es war eigentlich kein Frösteln. Sie kam sich eher wie ein Glas vor, das mit Wasser gefüllt wurde. Dann war da noch etwas … sie nahm einen anderen wahr.
Die Kraft eines anderen riss ihre Arme hoch, und das Denken eines anderen steuerte ihre Reflexe. Sie trat innerlich zurück und wurde zu einem Zuschauer in ihrem eigenen Körper. War das überhaupt noch ihr Körper? In ihrem Rücken taten zwei Stellen höllisch weh, so dass es sie bei jeder Bewegung fast zerriss.
Der Kampf ging weiter, und auf wundersame Weise wehrte sie Thornes Todesstoß ab. Ravens Aus fall zur Seite. Die Stimme hallte von weit her in ihrem Kopf wider. Dieselbe Stimme, die ihr gesagt hatte, sie solle kämpfen und sich verteidigen. Dieselbe Stimme, die in der Siedlung versucht hatte, zu ihr zu sprechen.
Eins, zwei, drei und Stoß nach oben, fünf. Die Stimme und ihr Körper passten sich dem Rhythmus von Thornes Angriff an und begegneten ihm. Sie erinnerte sich an einige der genannten Techniken, doch viele andere waren ihr neu. All die
verschiedenen Bewegungen – das Gleichgewicht, die Schritte, der Neigungswinkel der Klinge – harmonisierten in ihr auf eine Weise, wie es nie zuvor der Fall gewesen war, als Sevano oder Meister Rendel sie unterrichtet hatten.
War das Entsetzen, was sich da auf Thornes Gesicht abzeichnete, als sie einen besonders schwierigen Stoß parierte? War das Schweiß, was auf seiner Stirn glänzte?
Kopfschwung, Craymans Kreis, drei, vier und Stoß!
Verblüfft sah sie mit an, wie ihre Schwertspitze Thornes Lederwams aufriss. Obwohl sie nur einen langen Schnitt im Leder hinterlassen hatte, wurde sein Gesicht kalkweiß, als wäre es sein eigenes Fleisch gewesen.
»Wer bist du?«, keuchte Thorne, und seine Augen weiteten sich vor … Furcht.
… zwei, drei und noch mal Ravens Ausfall!
Die Bewegung warf Thorne gegen einen Baum, und seine Arme und das Schwert verfingen sich für einen kurzen Moment im immergrünen Geäst.
Butschers Block, eins-zwei-drei.
Thorne konnte nur mit knapper Not verhindern, dass er in drei Stücke zerhackt wurde. Jedes Schwingen des Schwerts erneuerte den Schmerz in ihrem Rücken, und das Blut begann wieder zu fließen …
»Wer bist du?«, wollte Thorne erneut wissen.
Brenne, Brosche, brenne! Beim geflügelten Pferd, brenne!
Thorne schrie auf. Mit der freien Hand griff er nach der Brosche an seinem Mantel. Er umklammerte sie, doch dann ließen seine Finger schlagartig los. Diese Ablenkung genügte.
Jetzt der Kaltmacher!
Die Klinge bohrte sich durch Thornes Wams und seinen
Körper; sie trat auf dem Rücken wieder aus, nagelte ihn an einen Baumstamm. Seine Glieder zuckten sinnlos umher. Karigans Nasenflügel bebten vom metallischen Geruch des frischen Bluts.
»Wer bist du?« Diesmal war es ein Wispern, kaum hörbar.
Die Stimme, die antwortete, gehörte Karigan – doch die Worte waren nicht ihre. »Ich bin ein Grüner Reiter und erfahrener Schwertmeister. Dir bleibt Saverills Schicksal erspart, Verräter.« Die Hand, die das Heft hielt, drehte das Schwert, und Thorne rollte mit den Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Die Präsenz in ihr wandte sich Jendara zu und griff nach ihrem Dolch.
Halt! Karigan bemühte sich, die Präsenz in ihr loszuwerden, doch es war, als wolle sie sich die Gedärme aus dem Leib reißen. Lass mich in Ruhe.
Die Präsenz wich aus ihr, und sie seufzte auf, als wieder Wärme ihren Körper durchströmte. F’ryan Coblebay stand vor ihr.
Ich habe dir das Leben gerettet, sagte er. Sie ist eine Verräterin und muss sterben.
»Es ist meine Entscheidung«, sagte Karigan, »ob sie sterben soll.« Sie blickte Jendara an, die auf dem Rücken lag, die Kehle schutzlos jedem Schwert entgegengereckt, das darüber hinwegstreichen mochte. Das Blut auf dem Gesicht der Waffe trocknete; sie atmete normal und wirkte, als schlafe sie. Karigan erinnerte sich, wie Jendara Thorne dazu gebracht hatte, ihr den Mantel zu geben, damit sie vor dem kalten Regen geschützt war. Jendara hatte ihr den verborgenen Lebensmittelvorrat gelassen und Thorne nichts davon erzählt. Sie wusste, dass Jendara Garroty eher getötet hätte, statt zuzulassen, dass er ihr ein Leid antat.
F’ryan Coblebays Gestalt waberte einmal kurz. Du musst sie töten.
»Töte du sie.«
Ich kann nicht, es sei denn, ich dringe wieder …
»Das erlaube ich nicht.« Karigan ballte die Fäuste und lockerte sie wieder. »Ich lasse mich nicht
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