Der magische Wald
Anhaltspunkt zu nutzen. Er hatte Angst, daß sie sonst im Kreis gehen würden, bis ihre Knochen irgendwo im Laub verbleichen würden. Er markierte in dem verzweifelten Versuch, die Richtung beizubehalten, Bäume mit dem Ulfberht, obwohl er schließlich das Gefühl bekam, daß das überflüssig war, daß sie einen Kurs einschlugen, der schon vor langer Zeit für sie festgelegt worden war. Einmal stieg er auf einen Baum, um die Sonne zu sehen. Dreißig Meter hoch kletterte er auf den alten Waldriesen. Er grub die Finger in die faulende Rinde, und schwarzer, übelriechender Moder setzte sich unter seinen Fingernägeln fest. Er sah einen Lichtschimmer über sich und wußte, daß irgendwo da oben die Welt ihren normalen Gang ging. Dort ging jeden Morgen die Sonne auf, und jeden Abendder Mond. Aber die höchsten Äste waren zu dünn, um sein Gewicht zu tragen, und er mußte wieder hinuntersteigen. Maden und Milben hatten sich in seiner Kleidung und in seinem Haar festgesetzt. Sie hatten genug Trockenfleisch und Wurzeln in ihren Satteltaschen, um sich ein paar Wochen lang ernähren zu können, und das war auch gut so, denn es schien keine Tiere im Wald zu geben. Kein Vogel sang an den Morgengrauen, kein Wild kreuzte ihren Weg. Es war, als saugten die mächtigen Stämme der Bäume das Leben aus dem Land, als ließen sie keinen Platz für andere Geschöpfe. Michael äußerte diesen Gedanken, als er eines Abends mit Cat fröstelnd an ihrem kümmerlichen Lagerfeuer saß. Sie nickte. »Spürst du es nicht?« »Was?« »Die Macht hier. Sie liegt förmlich in der Luft. Die Bäume sind ein Teil davon, sie strotzen davor, aber sonst läßt diese Macht nichts zu, außer es handelt sich um eine Bestie oder um den Schwarzen Reiter. Dieser Ort ist verdorben von einem mächtigen Zauber, Michael. Er ist krank davon, wie ein Tümpel ohne Abfluß.« Die Versorgung mit Wasser wurde zum Problem. Es gab kleine Flüßchen im Wald, schlammig und von Wurzeln überwuchert, und ihr Wasser war wie dunkles Bier. Sie tranken es trotzdem, doch nach zwei Wochen wurde Michael krank davon. Er erinnerte sich später nur verschwommen daran, was geschehen war, nachdem er von Fancys Rücken geglitten war und den Boden auf sich zukommen gesehen hatte. Sein Verstand schien sich von seinem Körper gelöst zu haben. Cat erzählte ihm später, daß er Krämpfe bekommen hatte. Er hatte sich dabei ein Stück Zunge abgebissen, und die Wunde an seinem Schenkel war wieder aufgeplatzt wie die Schale einer verfaulten Frucht. Zwei Tage verbrachte er in diesem Zustand. In der Nacht des zweiten Tages erwachte er, roch seinen eigenen Gestank und spürte den Geschmack von Blut und Erbrochenem in seinem Mund. Cat saß mit roten Augen wie eine Puppe neben ihm.
Um sie herum ragten die Bäume mächtig und schweigend wie immer empor, und der Gestank des Waldes schien noch schlimmer zu sein als sein eigener. Danach kochten sie das Wasser ab, obwohl Cat es zu vertragen schien, und tranken nur noch in kleinen Schlucken. Michael hatte andauernd Durchfall, und das ständige Reiten war eine Qual für seine offene Wunde und seinen wunden Hintern. Er aß etwas von den Roggenkörnern für die Pferde, was ein wenig half. Die Pferde selbst magerten langsam ab, weil sie nicht genug zu fressen hatten. Das spärliche Unterholz sagte ihnen nicht zu, und sie knabberten an Borkenstücken und dem kümmerlichen Farn, der sich auf dem düsteren Waldboden zu behaupten suchte. Dicke Blutegel saugtensichanihnenfest, die — wenn man sie in Ruhe ließ -zu Fingergröße anschwollen, bevor sie gesättigt abfielen. Cat fing in den ungesunden Bächen Frösche; sie häuteten sie ab und aßen sie vorsichtig. Obwohl sie für Michael wie verdorbenes Schweinefleisch schmeckten, waren sie nicht giftig, und schon bald hielten sie jedesmal an, um ihr Glück zu versuchen, wenn sie das Gluckern von Wasser hörten. Eines Tages jedoch hörten sie das klare Plätschern von frei strömendem Wasser. Es klang ganz anders als das Geräusch der langsam fließenden, versumpften Bäche, die sie bisher angetroffen hatten. Sie fanden ein kristallklares Flüßchen, dessen Ufer mit Gras und Büschen bewachsen war. Verwundert hielten sie an und tranken von dem erfrischenden, sauberen Wasser, das ihnen nach der Brühe, die sie in letzter Zeit getrunken hatten, besser schmeckte als Wein. Am erstaunlichsten aber war, daß über dem Fluß eine Lücke in dem geschlossenen Laubdach der Bäume war, so daß sich tatsächlich
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