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Der magische Wald

Titel: Der magische Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kaerney
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wenn der Mond aufgegangen war. Werwölfe ducken sich dann zu Füßen seines Pferdes, und -hinter ihm lauern dunkel und schweigsam Kobolde. Er sitzt nur da und beobachtet. Aber in diesem Moment muß ich an die Erinnerungen des Waldes denken, die ich gesehen habe: mein eigenes Volk, das wie Vieh abgeschlachtet wird, Dutzende von Leichen, grausam geschändet und verstümmelt, und das gibt mir Kraft. Ich kann diesen gesichtslosen Blick ertragen, kann mich ein paar Schritte entfernt von ihm hinknien und beten ... meine Pfeife ist erloschen.« Er bückte sich, um die Pfeife mit einem Ast aus dem Feuer wieder zu entzünden. Es war für einen Moment still, und sie hoben die Köpfe und lauschten. Ein Geräusch im Wind, weit entfernt. Nennian stieß gelassen Rauchwolken aus, aber seine Augen funkelten unter den Brauen. »Das ist er«, sagte er so leise, daß es fast ein Flüstern war. Hufschlag, in weiter Entfernung, aber er näherte sich. Ein galoppierendes Pferd. »Wenn man vom Teufel spricht ...«, murmelte Michael. Ein alter Spruch seines Großvaters. Das Geräusch kam immer näher. Sie blickten zum Dach der Hütte hinauf, begriffen, daß der Hufschlag in der Luft über ihrenKöpfenertönte,inHöheder Baumwipfel. Für einen Augenblick schien es, daß er direkt über ihnen war, ein sanftes Beben, und Michael hatte den Eindruck, daß das Dach gezittert hatte. Dann entfernte sich der Hufschlag wieder, verlor sich im Wald.

    Nennian kicherte. »Er kommt fast jede Nacht vorbei, auf dem Weg zu seinem Schloß. Ich glaube, ich bin ihm ein Dorn im Auge. Ein Jucken, doch ihm hilft kein Kratzen.« »Sein Schloß?« wiederholte Michael. Er spürte, daß Cat ihn mit ihren grünen, nicht-menschlichen Augen ansah. »Ja. Es ist nicht sehr weit von hier entfernt. Ich habe es einmal durch die Nebel, die es umhüllen, gesehen. Ein finsterer Ort, hoch wie ein kleiner Berg, dicht von Bäumen umwuchert. Ich versuchte, näher zu kommen, aber ich bekam Angst, und mein Glaube wich von mir. Ich mußte umkehren. An diesem Ort herrscht unendliche Traurigkeit und Macht. Es ist,als hätte die Welt dort eine Öffnung, aus der die schwärzesten Zauber strömen. Und doch ... und doch ...« Er brach ab. »Ihr wollt dorthin, ist es nicht so? Zum Schloß des Schwarzen Reiters?« Cat legte Michael eine Hand auf den Arm, wie um ihn vom Reden abzuhalten, aber er achtete nicht darauf. »Ja. Dorthin sind wir unterwegs. Wir haben dort etwas zu erledigen.« »Etwas zu erledigen.« Der Humor kehrte in das Gesicht des Bruders zurück. »Etwas sehr Wichtiges, glaube ich, wenn es euch bis hierher gebracht hat.« »So ist es.« Das Feuer knisterte. Bruder Nennian nahm diePfeifeaus demMundund sprach weiter. »Ihr seid willkommen und könnt meine Gäste sein, so lange ihr wollt, um Kraft für das zu sammeln, was vor euch liegt.« Aber er sah dabei ins Feuer, und Michael hatte für einen Moment den Eindruck, daß er eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen. Der nächste Morgen war grau und naß.

    Die Lichtung hatte sich in eine Schlammwüste verwandelt, auf der sich nur die Sandalenabdrücke des Bruders abzeichneten. Michael fühlte sich zerschlagen und benommen, das Resultat der ersten Nacht unter einem festen Dach seit Wochen. Durch das Fenster sah er Nennian die Tiere füttern. Er hatte einen Lederbeutel um die Schulter geschlungen, und eine Hühnerschar folgte ihm erwartungsvoll. Der Hahn krähte immer wieder seinen Morgengruß, und die Pferde fraßen freudig aus ihrem Trog. Ihr Atem dampfte in der kalten Luft. Der Winter war auf dem Rückzug, aber es schien, daß er hier eine Nachhut zurückgelassen hatte, die um jeden Tag kämpfte. Cat rieb ihre Nase an Michaels Nacken. Sie mußte sich dazu auf die Zehenspitzen stellen. Ihre Hand fuhr ihm zwischen die Beine. Er war sofort erregt, entzog sich aber ihrem Griff. »Nicht, Cat. Nicht hier.« »Warum nicht? Ist dieser Ort zu heilig für uns?« »Es ist nicht richtig, in seiner Gegenwart. Dies ist sein Haus, und er ist ein Priester.« Sie lachte verächtlich, tätschelte ihn noch einmal und ging, um ihre Sachen zu packen. »Reiten wir heute weiter?« fragte sie. Er blickte hinaus auf die Lichtung. Nebel zog in dichten Schwaden durch die Bäume. Er roch, daß es weiter regnen würde; seine Wunde schmerzte, und die Krankheit steckte ihm noch in den Knochen. Er fühlte sich alt, furchtbar alt, und völlig erledigt. Er wäre am liebsten wieder unter die Pelze gekrochen, um den grauen Morgen zu verschlafen. »Nein. Wir

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