Der magische Wald
Schloß. Ich kann euch dorthin führen. Ohne mich würdet ihr vielleicht durch den Wald irren, bis ihr an Altersschwäche sterbt oder bis der Schwarze Reiter bereit ist, euch zu empfangen. Er lenkt die Schritte von allem, was hier kreucht und fleucht, außer von denen, die gläubig sind.« »Gläubig!« »Ja. Gläubig. Glaube hat mich hier zwölf Jahre lang am Leben gehalten. Es ist mir nicht immer gutgegangen, aber ich war immer noch stark genug. Laß mich mit euch kommen. Ichkanneuchnicht schaden, aber vielleicht von großem Nutzen sein.« »Du würdest ihm gegenübertreten, nicht wahr? An Selbstvertrauen mangelt es dir nicht ... Aber Cat würde dich niemals mitkommen lassen.« »Sag ihr einfach, daß ich euer Führer bin, sonst nichts.« Michael zögerte. Er dachte an die Veränderungen, die in Cat vorgegangen waren, die Art und Weise, in der sie sich in jemand anderen zu verwandeln schien. Er wollte, daß das aufhörte. Er wollte nicht, daß sie sich gegen ihn stellte, wenn er irgendwann dieses verdammte Schloß doch noch erreichen sollte. Der Gedanke daran war nicht auszuhalten. Und dennoch konnte er Bruder Nennian nicht trauen. Er war nicht so weit gekommen, um sich von jemand anderem benutzen zu lassen. »Ich werde einmal hören, was Cat davon hält«, sagte er schließlich. Bruder Nennian verbeugte sich leicht, und zog dann mit einer schnellen Bewegung das Ulfberht aus seinem Lehmbett. Er betastete die Schneide mit dem Daumen. »Du könntest dich jetzt damit rasieren. Die richtige Waffe für einen Kreuzritter.« Michael fand Cat bei den Pferden. Die kurze Rast tat ihnen sichtlich gut. Sie mußten aufpassen, daß Fancy nicht zuviel fraß; das Tier neigte dazu, sich zu überfressen. Nennians Heu war durch den Regen des Winters feucht geworden und von keinem großen Nutzen. Cat schüttete die Gerstenkörner des Bruders in den Futtertrog, als seien sie Wasser. Michael mußte sie bremsen; zuviel von dem Zeug, und die Tiere würden eine Kolik bekommen. Sie mußten nach der kargen Kost der letzten Wochen erst wieder an reichhaltigere Nahrung gewöhnt werden. Cat und Michael lehnten sich gegen das Holzgeländer vor dem Unterstand für die Pferde. Der Nebel war noch dichter geworden, und kleine Tropfen glänzten in Cats Haar. Die weißen Schwaden verwandelten Spinnenweben in ein Geflecht von Perlenketten und verhüllten die Wipfel der höchsten Bäume. Die Baumstämme sahen aus wie Bohnenstangen, die zu einem Schloß über den Wolken emporragen. Cat hatte eine Gänsehaut, und Michael umarmte sie von hinten, vergrub seine Nase in ihren Haaren. »Nun, auf einmal bist du nicht mehr so schüchtern an diesem heiligen Ort? Hat der Priester dir etwa seine Erlaubnis gegeben?« Aber sie entspannte sich in seinen Armen, drehte den Kopf zur Seite, so daß er sie seitlich auf den Hals küssen konnte. »Wir werden bald aufbrechen«, murmelte er. »Mmhmm.« »Bruder Nennian wird uns begleiten.« »Was?« Sie wand sich aus seinen Armen und sah ihn an. »Was hast du gesagt?« Gereizt erklärte er ihr, daß der Bruder den Weg kannte. Er würde ihr Führer sein, sonst nichts. Andernfalls würden sie herumwandern müssen, bis der Schwarze Reiter bereit war, sie zu empfangen.
»Warum ist er so wohltätig, obwohl er über mich Bescheid weiß? Er will etwas, Michael. Ich sehe es in seinen Augen. Er tut das nicht uns zum Gefallen.« »Vielleicht. Aber wir brauchen ihn, Cat. Wir können seine Hilfe brauchen.« Als er merkte, daß sie das nicht überzeugte, sagte er: »Wir trennen uns von ihm, sobald wir das Schloß sehen. Wir verlieren ihn einfach im Wald. Er wird nicht bis zum Schluß bei uns sein.« Das schien sie ein wenig zu besänftigen. »Was geschieht mit dir, Cat?« »Was meinst du?« »Nichts, nichts.« Wieder diese Müdigkeit, dieses Gefühl, die Last vieler Jahre auf den Schultern zu tragen. Jahre, die erst noch kommen mußten. Cat zupfte zärtlich an seinem Bart. Sie sah ihn liebevoll an. »Du bist grau, mein kleiner Junge, grau und erschöpft. Der Wald hat dich in einen Mann, einen Krieger verwandelt. Du gehörst jetzt hierher, Michael.« Er bringt mich um, fauchte er im stillen, beugte sich aber ihrem Kuß entgegen. Sie preßte sich an ihn — hart und weich, Knochen und Brust. Er wollte sich in ihr vergraben und vergessen, daß er jemals von Schlössern, Schwarzen Reitern und Kobolden gehört hatte. Und von dem Wald. Den wollte er am meisten vergessen, wollte das Moos der Erinnerung abkratzen.
KAPITEL ACHTZEHN
Noch eine
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