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Der magische Wald

Titel: Der magische Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kaerney
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waren die langen Tage des Sommers, das Heu war eingebracht, und die Ballen stapelten sich in der Scheune. Das Gras war feucht, und seine Füße rutschten über den regengetränkten Boden. Noch während er die schiefergrauen Wolken betrachtete, die die Berge am Horizont verhüllten, begann es wieder zu regnen. Er fluchte (eine Angewohnheit, die er sich erst vor kurzem zugelegt hatte) und machte sich auf, um Schutz unter den Bäumen unten am Fluß zu suchen. Er fragte sich, ob er dort allein sein würde. »Du bist ganz schön frech für dein Alter!« hatte Tante Rachel ihn angeschrien, nachdem er eine Bemerkung über das Brot gemacht hatte, das sie immer backte, über die sogar sein Großvater unwillkürlich hatte grinsen müssen. Aber das war noch nicht alles gewesen. »Daß du immer mit Rose herumgezogen bist, als sei sie deine Schwester, obwohl sie zehn Jahre älter war, das ist es, was dich verdorben hat, Junge.« Und es hatte schockiertes Schweigen in der Küche geherrscht. Michael war mit einem erstickten Schluchzen aus der Küche gestürmt, hatte aber noch gehört, wie Pat wütend seine Stimme erhob, und Rachel ihm schrill antwortete. Wie immer war es unter den Bäumen schon dunkler, ein Zwielicht, finsterer und unheimlicher als die grüne Dämmerung des Sommers. Für einen Augenblick stapfte er grimmig durch das Laub und dachte mit einer verwirrenden Mischung aus Trauer und Sehnsucht an Rose. Dann verhielt er sich wieder so, wie er es gewöhnlich im Wald tat, pirschte sich vorsichtig vorwärts. Es war gut möglich, daß an solch einem Abend etwas im Wald war. Morgen-und Abenddämmerung, hatte Mullan einmal gesagt, und er hatte recht gehabt. Michael hatte in diesen Wäldern große Hirsche gesehen, und einmal war etwas, das ein Biber gewesen sein mußte, ins Wasser geplatscht - und Wölfe natürlich. Sie waren dunkel, die Wölfe, schwärzer als die, von denen er Abbildungen in Tierbüchern gesehen hatte, mit größeren Köpfen, kräftigeren Körpern und langen Beinen. Gezüchtet auf Schnelligkeit, wie Windhunde. Er setzte sich dem Rauch eines Holzfeuers aus, um seinen Körpergeruch zu verbergen, bevor er sie von dem Ast eines Baumes aus beobachtete. Mullan hatte ihm das beigebracht. Es waren ungefähr ein Dutzend, und meistens traf er sie, wenn sie vonNordennachSüden zogen, ohne zu zögern den Fluß durchschwammen und sich schnüffelnd durch das Unterholz bewegten, als folgten sie einer Fährte. Einmal hatte er sie auf dem freien Feld oberhalb der Grundwiese gesehen, eine ferne Meute von schleichenden Schatten, im schwindenden Licht winzig wie Ameisen. Michael konnte sich nicht erklären, wo sie herkamen und was sie hier machten. Er wußte, daß der letzte Wolf auf den britischen Inseln im achtzehnten Jahrhundert in Schottland erlegt worden war. Es gab in den Wäldern keine Kreatur mehr, die man fürchten mußte, und zumindest in Irland gab es keine Wildnis mehr. Dieses Rätsel faszinierte ihn. Heute abend waren keine Wölfe hier. Er hörte das Rauschen des angeschwollenen Stromes. Das Unterholz wurde kümmerlicher, wenn der Winter nahte, und der kalte, feuchte Boden zwischen den Bäumen, lehmig und voller Laub, war fast frei davon. Stimmen brachten ihn zum Stehen. Er duckte sich, spürte den kalten Boden unter seinen Knien und sah auf der anderen Seite des Flusses ein gelbes Licht flackern. Ein Feuer. Er schob sich langsam voran, wußte, wer das sein mußte, war ängstlich, aber auch neugierig — und immer noch aufgebracht von dem Zusammenstoß mit Tante Rachel. Sie waren in der Senke auf dem westlichen Ufer des Flusses. Er sah sie schemenhaft vordem Feuersitzen, denRückenihm zugewandt. Es war schon so dunkel geworden, daß das Feuer ihn blendete. Er kniff ein Auge zu und kroch weiter, bis seine Hand durch Uferschlamm glitt und in das eisige Flußwasser eintauchte. Um ihn herum ragten die Bäume empor, und Regen tropfte mit einem gleichförmigen Geräusch von den Zweigen. Michael war gegen Sicht und Geräusch abgeschirmt. Und gegen Geruch, er war es, der sie riechen konnte, den gleiche Geruch wie damals, und für einen Augenblick war er wieder ein verängstigtes Kind, stand erstarrt mit einem Fuß bis zum Schienbein in dem rauschenden Fluß und nahm ihren moschusartigen Geruch auf. Aber er war jetzt fast dreizehn, ein alter Dreizehnjähriger, ein großer Dreizehnjähriger, fast ein Meter achtzig groß und geschmeidig wie eine Katze. Er warjungund vollerTrotz.Erwatetedurch den Fluß. Der Regen verstärkte

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