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Der magische Wald

Titel: Der magische Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kaerney
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Waldsprache verlernt hatte, je weiter er sich aus dem Herzen des Waldes entfernt hatte. Aber das hier war sein anderes Leben als Erwachsener, sein echtes Leben, rief er sich barsch in Erinnerung. Dies war die Wirklichkeit der Welt, in der er bleiben und schließlich sterben würde: die drängenden Gesichter jenseits des Tresens, der Biergestank, das Rauschen des Verkehrs draußen Dies war seine eigene Welt, ohne Wunder, grau und eintönig; eine bierbäuchige, kurzatmige Welt. Der schlanke, überaus gefährliche Mann, der er einmal gewesen sein mochte, war so tot wie ein halbvergessener Traum. Und überhaupt, er wollte nicht zurückgehen. Die Nächte waren so schon schlimm genug, hier in diesem Großstadtlabyrinth, diesem gezähmten Ort. Nach vier Stunden konnte er eine Pause machen und verließ den Pub durch die Hintertüre, um etwas frische Luft zu schnappen. Schon im Hinausgehen fingerte er nach seinen Zigaretten. Hier draußen waren Wände aus Backstein und überfüllte Mülltonnen, eine Katze putzte sich die Pfoten. Der Himmel war fast zugemauert, nur ein kleiner, kondensstreifendurchzogener Auschnitt war zu sehen. Das Tageslicht wich rasch der Dunkelheit, die nur gelegentlich vom Licht der Straßenlaternen durchbrochen wurde. An allen Seiten ragten Gebäude empor, an deren Feuerleitern Wäsche zum Trocknen hing. Irgendwo ertönten Kinderstimmen, das Schreien eines Säuglings, das Lachen einer jungen Frau. Er rauchte die Zigarette bis zum Filter, setzte sich auf einen Mülleimer und zündete sichnocheine an. Es würdenoch eine lange Nacht sein. Er würde bis zum Schluß bleiben, die letzte Schicht, und eine seiner Aufgaben würde es sein, die Betrunkenen, die kein Ende finden konnten, vor die Tür zu setzen. Der Besitzer hatte ihm den Job wegen seiner stattlichen Größe gegeben. Nie fingen sie Streit mit ihm an. Vielleicht war da noch immer etwas in seinen Augen, das auch dem Streitlustigsten zeigte, daß es besser war zu gehen. Der Gedanke gefiel ihm. Ein letztes Zeichen von Härte, von dem Mann, der Cats Liebhaber gewesen war, Ringbones Freund. Jemand, der andere Männer getötet hatte. Es war ein ruhiger Abend in der Stadt. Irgend etwas -eine Katze -sprang von einem Mülleimer, ließ den Deckel scheppern und jaulte laut. Die Straße führte, gesäumt von Unrat, stehenden und liegenden Mülltonnen, in die Schatten der Dämmerung. Ein paar Meter weiter stand ein verlassener, ausgeschlachteter Lieferwagen. Seine Zigarette glühte dämonisch, als er daran zog. Penner schliefen oft an dieser Straße, eingehüllt in alte Zeitungen. Sie durchstöberten im Wettstreit mit den Ratten die Mülleimer und waren genauso haarig und übelriechend wie die Nager. Vielleicht war jetzt einer von ihnen da draußen, lag zusammengekauert in seinem Lager aus Müll und beobachtete ihn. Kaum zu glauben, daß ihn nur eine Ziegelmauer von der Menge trennte, die trank und redete und die Dinge tat, die Leute in der Stadt gerne machen. Es war so ruhig hier, ruhig wie ein Wald in einer mondlosen Nacht. Aus den benachbarten Häusern schienen ein paar schwache Lichter, und an der Decke einer Wohnung sah er das bläuliche Schimmern eines Fernsehapparates. Aber es schien fast, als herrschte eine besondere Stille, eine gedämpfte Ruhe, hier unten, wo er zwischen dem ganzen Unrat saß: den Zeitungen und Zigarettenkippen, den Essensresten und Verpackungen von Chips und Süßigkeiten. Das Strandgut der Straßen. Er stieß Rauch aus, der in der Dämmerung verschwand. Etwas bewegte sich die Straße hinunter, verstohlen, schleichend. Als er wieder zu seiner Zigarette griff, fiel Asche auf sein Hemd. Seine Finger zitterten. Einer von den Pennern, die nach einem Schlafplatz oder den Überresten einer Mahlzeit suchten. Irgend etwas beobachtete ihn. Er konnte den Blick spüren, der über seinen plumpen Körper glitt. Er wußte, daß er nicht allein in der Straße war. Hinter ihm, aus den Fenstern des Pubs, ertönte lautes Gelächter. Sie waren jetzt gelbe Lichtflecken, die die Straße noch dunkler wirken ließen. War er so lange hier draußen gewesen? Er ging besser wieder hinein, bevor er wegen Bummelei abgekanzelt wurde. Da war etwas, im Schatten. Er wich zurück, die Zigarette hing an seiner feuchten Lippe. Er stieß polternd mit dem Absatz gegen die Mülltonne und fluchte leise. Nicht hier. Nicht jetzt. Das war vorbei. Ein Knurren ertönte aus dem Schatten, ein tiefes, kehliges Grollen aus den Tiefen einer mächtigen Brust. Die Zigarette fiel ihm aus

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