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Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Titel: Der Mahlstrom: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frode Granhus
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wollen, obwohl er seine Opfer in diesem Glauben ließ. Folglich hatte er auch das Grillfest am Amundsen-Kai sorgfältig geplant, wohl wissend, dass der Schreiner um acht Uhr auftauchen musste. Das Einzige, was Rino störte, war der Taucheranzug. Der musste doch ein Hemmnis gewesen sein und ihn in seiner Beweglichkeit eingeschränkt haben. Wenn er seinen Opfern Angst machen wollte, dass er sie ertränken würde, hätte er das doch wesentlich einfacher bewerkstelligen können. Also hatte der Anzug eine andere Funktion. War er irgendwie darauf angewiesen? Vielleicht auf Landegode, aber wohl kaum auf dem Festland.
    Das Pflegeheim lag um einen hufeisenförmigen Hof herum. Jedes der grauen Gebäude bestand aus drei Wohnungen. Glücklicherweise trugen sie alle ein Namensschild, so dass Rino die richtige rasch gefunden hatte. Er klingelte und hörte die Glocke dröhnen wie einen großen Gong.
    Er hatte gedacht, dass nur die gebrechlichsten Leute Anspruch auf einen Platz im Pflegeheim hatten, doch der Mann, der ihm die Tür aufmachte, stand auf seinen eigenen Beinen und sah ihn mit einem Blick an, der von geistiger Frische sprach.
    »Ja?«
    »Sind Sie Sevald Liland?«
    Der Alte warf einen kurzen Blick auf das Namensschild, als wollte er Rino zu verstehen geben, dass er seine Zeit mit Selbstverständlichkeiten vergeudete, aber dann nickte er.
    »Das ist das erste Mal in meinem neunzigjährigen Leben, dass die Polizei bei mir vor der Tür steht. Wenn ich eines Vergehens beschuldigt werde, hoffe ich, es spricht für mich, dass es so lang gedauert hat, bis ich zum ersten Mal gegen das Gesetz verstoßen habe.«
    »Ich bin ausschließlich aus Neugier hier.« Rino stellte sich vor, und der Alte überraschte ihn mit einem festen Händedruck.
    »Neugierig worauf? Auf die Endstation des Lebens?«
    »Den Untergang eines Hurtigruten-Schiffes.«
    Der Alte grinste schief und zog dabei die Lippen über die Zähne, so dass nur die leere Mundhöhle zu sehen war. »Eine gute Geschichte stirbt nie. Für mich ist diese Geschichte ja glimpflich ausgegangen, obwohl es zwischendurch wirklich düster aussah. Aber ich möchte hier lieber nicht länger in der Zugluft stehen. Sie verstehen sicher, dass ich sehr ungern friere.«
    Sevald Liland führte ihn in eine sparsam möblierte Wohnung, und Rino dachte, dass der Mann sich bestimmt von vielen Dingen hatte trennen müssen, als er hier einzog.
    »Ja, der Schiffbruch.« Liland manövrierte sich auf einen Lehnsessel, der leicht vornübergekippt war, als hätte er den Mann aus dem Sitz katapultiert, als es klingelte. »Im Grunde genommen brauche ich das Ding gar nicht.« Liland drückte auf einen Knopf unter der Lehne, und der Stuhl fuhr ihn mit leisem Surren in eine komfortable Ruheposition. »Die Zentrale Vergabestelle überflutet einen mit diesen Hilfsmitteln. Dieses Ding hat mir ein übereifriger Ergotherapeut geradezu aufgedrängt.« Der Alte zog sich eine Decke über die Beine und stellte die Position des Sessels noch einmal genauer ein. »So, jetzt. – Ab und zu kommt es noch vor, dass mich einer bittet, von diesem Schiffbruch zu erzählen, obwohl das letzte Mal schon eine ganze Weile her ist. Aber wenn ein Polizist in dieser Angelegenheit vor der Tür steht, dann werde ich gelinde gesagt neugierig. Stellt sich nur die Frage: Wollen Sie mir den Grund erzählen?«
    Rino betrachtete den Menschen, der ihm gegenübersaß. Sevald Liland war ein dünner, kleiner Mann, so dass man sich nur schwer vorstellen konnte, wie er sich im Sturm abkämpfte, um den Kopf über Wasser zu halten, während ringsherum seine toten Kameraden schwammen. »Es geht um die Misshandlung draußen auf Landegode.«
    Liland runzelte eine Stirn, auf der streng genommen schon fast keine Runzel mehr Platz hatte. »Schön, wenn man sich darauf verlassen kann, dass die Polizei die richtigen Prioritäten setzt. Ich dachte, Sie hätten sich schon längst wieder anderen Dingen zugewandt.«
    »Die Sache hat allerhöchste Priorität«, log Rino.
    »Gut. Solche sollte man für immer einsperren oder, noch besser, selbst festketten. Wenn Sie schon mal erlebt haben, wie es ist, sich um ein Haar zu Tode zu frieren …«
    »Er wurde an derselben Stelle angekettet, an der man Sie damals gefunden hat.«
    Es schien, als verstünde Liland nicht gleich, was Rino ihm da sagte.
    »In einer kleinen Schlucht zwischen zwei Klippen am Strand. Anathon Sedeniussen, der da viele Jahre Leuchtturmwärter war, hat erzählt, dass Sie dort an Land gespült wurden.

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