Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
jetzt?«
»In solch schlimmen Momenten denkt man so einiges, aber … nein. Mir gefällt das nicht. Das ging zu weit.«
»Er musste doch nicht um Geld für Lebensmittel betteln. Als es ums Vergnügen ging, war er gern dabei, aber sobald es darauf ankam, Verantwortung zu übernehmen …«
»Trotzdem. Als ich von Kim hörte, habe ich zuerst gedacht, dass der Scheißkerl die Strafe verdient hätte. Sorry, Renate, aber das fand ich wirklich. Aber nach der Sache mit Nils … nein, das ging definitiv zu weit.«
»Hast du denn viel Geld über, wenn deine Fixkosten gedeckt sind, Siri? Wie viel kannst du für dich selbst ausgeben?«
»Nichts.«
»Und was verdient Jan? Sechs-, siebenhunderttausend?«
»Hättest du einen Arm für sechshunderttausend Kronen geopfert?«
»Herrgott, Siri, jetzt mach sie doch nicht zu Opfern. Es gab einen Grund, warum wir diesen Club gegründet haben, vergiss das nicht. Kannst du dich noch erinnern, wie wir uns zum ersten Mal getroffen haben?«
Ein paar Sekunden schwiegen sie, und Rino stellte sich vor, wie sie jeden am Tisch ansah, als wollte sie dem, was sie gleich sagen würde, besonderen Nachdruck verleihen. »Wir saßen auf den Sofas im Wartezimmer, so nahe beieinander, dass wir nur die Hand hätten ausstrecken müssen, um uns zu berühren. Stattdessen saßen wir da und starrten auf den Boden, in der Hoffnung, er könnte sich auftun und uns mitsamt der Schande verschlingen. Sie haben sich vor ihrer Verantwortung gedrückt, Siri, diese Widerlinge haben sich vor ihrer Verantwortung gedrückt.«
»Trotzdem. Irgendjemand ist uns auf der Spur.«
»Was willst du damit andeuten?«
Rino spürte, wie sich die Stimmung veränderte. Der Ton der Frage war anders. Man rutschte unruhig hin und her.
»Ich befürchte, dass sich eine von uns gegenüber der falschen Person verplappert hat. Derjenige, der das alles macht, muss von uns wissen, von unserem Club, und wie wir … die Väter unserer Kinder hassen.«
»Wir hassen sie doch nicht …«, kam vorsichtiger Protest.
»Was denn sonst, Vigdis?«
»Wir hassen sie nicht. Wir sind nur wütend.«
»Das ist eine Frage der Definition.«
»Hey, Mädels!« Eine von ihnen klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit der anderen zu bekommen, und er glaubte die Stimme von Renate Øverlid zu erkennen. »Wir dürfen nicht vergessen, warum wir diesen Club gegründet haben. Wir teilen ein Schicksal, nicht wahr? Deshalb können wir die Drecksäcke, die uns überhaupt erst in diese Situation gebracht haben, nicht plötzlich unterstützen. Liegt es nicht an Jan, dass wir uns an diesem gottverlassenen Ort verabreden müssen? Hätte der seinen Terror nicht fortgesetzt, wenn er von unseren Treffen wüsste?«
»Er bildet sich nun mal ein, dass meine Freundinnen mich gegen ihn aufhetzen.«
»Also kontrolliert er dich immer noch, Siri, und uns mit.«
»Renate hat recht.«
»Trotzdem, wir können nicht so tun, als wäre nichts geschehen. Die Polizei richtet schon ihre Suchscheinwerfer auf uns. Was sollen wir in der Sache unternehmen?«
»Nicht alle sind gegen uns.«
Bei diesen Worten hielt Rino den Atem an. Das Ausbleiben von Reaktionen deutete darauf hin, dass sie schon einmal darüber geredet haben mussten.
»Ich saß mit meinem Kleinen auf dem Schoß da. Verdammt, ich hatte solche Angst, ich hab ihn richtig krampfhaft umklammert. Und als ich meinen ganzen Frust rausließ … da begriff ich, dass er mit mir litt, dass er meine Bitterkeit teilte.«
»Vielleicht.«
»Nicht nur vielleicht. Er meint es gut mit uns.«
»Vielleicht«, wiederholte dieselbe Stimme.
18
Bodø
Als Rino nach Hause kam, sah es aus, als hätten ein paar Köche der Koch-Nationalmannschaft geübt. Joakim hatte sich offenbar nicht mit einem einfachen Abendessen zufriedengeben wollen und sich kreativ ausgetobt. Vielleicht war dieser Schweinestall der letzte Gruß vorm Schlafengehen, gerichtet an einen Vater, der seinen Job über das Zusammensein mit seinem Sohn gestellt hatte. Rino räumte das Schlimmste auf, während er versuchte, die Eindrücke dieses Abends zu sortieren. Eine Weile hatte er schon erwogen, sich zu erkennen zu geben, doch dann kam er zu dem Schluss, dass er mehr davon hatte, wenn er sich nicht verriet.
Trotzdem begriff er immer noch nicht ganz, was er da mitangehört hatte, denn nicht in seinen wildesten Fantasien wäre ihm eingefallen, dass es einen Club der verbitterten Mütter geben könnte. Er fasste in Gedanken zusammen, was er bis jetzt wusste. Erstens hatten
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