Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
wieder einschlafen. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich will mehr über den Brand wissen. Nicht zuletzt, was Ihnen damals passiert ist.«
Der Alte seufzte schwer. »Das Interesse dafür war in den letzten vierzig Jahren eher mäßig. Kommt zwar ein bisschen spät, aber bitte. Die Brandursache ist nicht bekannt, aber es war eine Art Schwelbrand. Innerhalb kürzester Zeit war die ganze Brücke voller Rauch. Dazu ging ein frischer Wind, und es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis das Ganze lichterloh brannte. Sie konnten alle Leute evakuieren, glaubten sie jedenfalls, aber den Mann, der im Keller die Fässer stapelte, hatten sie vergessen. Ich hab auch überhaupt nichts gehört. Als ich den Rauch bemerkte, der zu mir runterwallte, und zu fliehen versuchte, entdeckte ich, dass man die Luke nicht mehr öffnen konnte. In der ganzen Aufregung hatten sie eine Palette mit Fischkisten darübergeschoben. Ich hatte keine Chance, und es gab auch keine Fluchtwege. Also rollte ich mich in einer Ecke zusammen und machte mich auf den Tod gefasst. Ich hatte zwei Kinder … das verändert einen Menschen schon, wenn er so zusehen muss, wie der Tod langsam näher kommt. Im Nachhinein habe ich dem lieben Herrgott für diesen Augenblick gedankt, denn er hat meine Perspektive auf das Leben definitiv geändert.«
»Wie haben Sie überlebt?«
»Tja, ich weiß auch nicht. Vielleicht war es eine Hand von oben, keine Ahnung. Ich atmete den Rauch ein und war nur noch knapp bei Bewusstsein, aber hinterher konnte ich mich entsinnen, dass ich gestürzt war, daran erinnert mich heute noch meine kaputte Hüfte. Wie sich herausstellte, befand sich unter dem Keller noch einmal ein kleiner Kriechgang. Man konnte den Brand löschen, bevor er sich noch weiter ausbreitete, und dann fiel ihnen auch wieder der Mann ein, der die Fässer stapelte. Sie zogen mich mehr tot als lebendig da unten raus. Meine Lungen sind seitdem ein glucksender Schwamm. Aber ich lebe, und ich hatte von da an auch ein gutes Leben. War es das, was Sie hören wollten, Herr Ermittler?«
»So was in der Art.«
»Dann sagen wir jetzt vielleicht endlich gute Nacht?«
»Sie waren heute unten an der Brücke?«
»Ich war im Laufe der Jahre öfters dort. Ich wollte es nur noch ein letztes Mal sehen, bevor sie da renovieren.«
Rino entschuldigte sich für die Störung und bedankte sich für die Auskünfte. Der Täter hatte seine Opfer also an Orte gebracht, an denen junge Männer gegen alle Wahrscheinlichkeit dem Tod entronnen waren. Herleif Winther war dem Feuertod entgangen, der Smutje dem Tod durch Erfrieren. Damit war die Wahl der Tatorte geklärt, worüber Rino nämlich als Allererstes gestolpert war – warum der Täter sich die Mühe gemacht hatte, seinen bizarren Plan auf Landegode durchzuführen, wo er sich doch viel leichter zugänglichere Orte aussuchen und das Risiko des Entdecktwerdens hätte halbieren können. War das Ganze ein perverses Spiel, bei dem er die Opfer denselben Leiden aussetzen wollte, die der Smutje und Winther durchgestanden hatten? Oder war es sein Plan gewesen, ihnen eine Lektion zu erteilen, und die Tatorte waren nur ein Hinweis? Er dachte an die Jungs, die Kim Olaussen gefunden hatten. Sie waren über die Klippen gewandert, ein Zufall, der ihn vor dem Erfrierungstod gerettet hatte. Sie hatten die Rufe gehört, die der Wind ihnen zutrug. Olaussen hatte in seiner Verzweiflung nach dem Täter gerufen, nur um zu erleben, wie seine Worte im Wind untergingen. Also musste sich der Wind gedreht haben. Ein Gedanke streifte Rino, doch er nahm sich vor, ihn erst am nächsten Morgen zu Ende zu denken.
Er war schon gegen acht Uhr wach, leerte nur kurz seine Blase und wählte dann die Nummer der Wetterstation. Die Frau, mit der er sprach, war äußerst entgegenkommend, obwohl sie kaum damit gerechnet hatte, an einem Sonntagmorgen so früh schon gestört zu werden. Er fragte nach der Vorhersage für den Tag, an dem Olaussen gefunden worden war, und seine Ahnung wurde bestätigt. Der Wetterwechsel war erwartet und auch angekündigt worden. Erst kam der Wind zwei Tage lang von Nordwest, und nachdem die Meteorologin ein paar atmosphärische Knalleffekte vom Stapel gelassen hatte, gelangte sie zu der abschließenden Feststellung, dass dem Wind gar nichts anderes übrig geblieben sei, als sich zu drehen. Und so waren Olaussens Schreie Richtung Land getragen worden, was Rino zu der Schlussfolgerung brachte, dass der Täter die Männer gar nicht hatte ermorden
Weitere Kostenlose Bücher