Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
Er hatte ihm auch von den Frauen erzählt und dem Club, den sie gegründet hatten, und dass sie anscheinend nicht wussten, wer der unbekannte Wohltäter war – ein Wohltäter, der die Väter ihrer Kinder aufs Gröbste misshandelte. Und er hatte auch vom Verdacht gegen Even Haarstad erzählt, der bei einem sadistischen Pflegevater aufgewachsen war und jetzt im Jugendamt von Bodø arbeitete.
»Sie meinen, er wurde als Kind misshandelt?«, fragte Niklas.
»Das ist wohl eine Tatsache, wenn ich den alten Mann, der damals sein Nachbar war, recht verstanden habe. Ich glaube, dass ihn heute noch sein Gewissen quält, weil er nicht eingegriffen hat. Ich befürchte, durch meine Geschichte hab ich es ihm auch nicht unbedingt leichter gemacht.«
»Ich habe mich hier im Grunde noch nie richtig wohlgefühlt.« Niklas sah sich um. »Karianne auch nicht – das ist meine Frau. Sie ist ständig auf der Suche nach etwas Besserem.«
»Ich glaube, am meisten quält den Alten, dass er die Augen vor dem verschlossen hat, was unten am Meer passiert ist.«
Niklas krümmte sich innerlich, während er auf die Fortsetzung wartete.
»Sein Pflegevater nahm ihn mit dorthin, und die Schmerzensschreie, die die Leute dann hörten, ließen wenig Zweifel daran, dass da nichts Gutes passierte. Irgendetwas sagt mir, dass er wiederholt, was er selbst einmal erlebt hat. Nur, dass er diesmal selbst der Henker ist.«
Niklas lief es kalt den Rücken herunter.
»Ich habe die Brandverletzungen auf seinem Unterarm gesehen. So verbrennt sich niemand bei einem Unfall. Ich glaube, dass sein Pflegevater ihm die Hände unter Wasser festgekettet hat, um ihn zu bestrafen. Und ich glaube, er hat ihn vor einen Heizstrahler gebunden und dort sitzen lassen, bis seine Haut brutzelte wie die Pommes im Frittieröl.«
»Ich glaube, dass wir in vielerlei Hinsicht unsere Fälle aus der gleichen Perspektive angehen«, stellte Niklas fest. Er schauderte bei dem Gedanken, dass diese Misshandlungen höchstwahrscheinlich in den vier Wänden stattgefunden hatten, in denen er jetzt wohnte. »In beiden Fällen dreht es sich letztlich um alte Sünden«, fügte er hinzu, bevor er seinem Kollegen von der neuesten Entwicklung in einem Fall erzählte, den er aufgrund der Zeitungsberichte als bekannt voraussetzte.
»Keine Verdächtigen?«, fragte Rino, als Niklas mit seiner Geschichte bei der Puppe angekommen war, die in diesem Moment auf dem Küchentisch lag.
»Keine Verdächtigen und keine Motive, aber ich ahne, dass die Geschichte mit Linea anfängt und aufhört. Beziehungsweise mit der Puppe.« Niklas nahm die Porzellanpuppe behutsam in die Hand. »Die Schönste aller Schönen. Lineas Mutter konnte nicht ahnen, dass die Puppe über fünfundzwanzig Jahre lang mit ihrer Tochter vergraben sein würde.«
»Man muss ergründen, warum die Dinge so passiert sind. Wir haben es beide mit Tätern zu tun, die viel Energie in die Inszenierung und in die Ausführung des Verbrechens an sich gesteckt haben. Rino stand auf, weil er wusste, dass der andere eigentlich nur für eine kurze Stippvisite nach Hause gekommen war. »Und in so einem Fall muss man eigene Gedanken und Normen beiseitelassen, die haben in solchen Fällen keine Gültigkeit. Wo wir meinen, Wahnsinn im Zwangsjackenstadium zu sehen, findet sich immer noch eine gewisse Logik.« Er blieb stehen, als würde er über irgendetwas nachdenken. »Sie sind kürzlich erst eingezogen, richtig?«
»Wir wohnen erst ein paar Wochen hier.«
»Dann ist der Keller vielleicht immer noch unberührt?«
Niklas runzelte die Stirn.
»Der Alte hat da so was gesagt … dass der Junge den Großteil seiner Kindheit im Keller verbracht hätte.«
»Ich habe ein paar Kartons runtergestellt, aber das war alles. Das war übrigens die einzige besondere Klausel im Mietvertrag, dass im Keller alles so bleiben muss, wie es ist. Die Vermieterin hatte wohl eine Menge da unten verstaut, aber ich konnte sie schließlich doch überreden, dass wir den Keller benutzen dürfen. Ich hab nämlich auch so einiges an überflüssigem Krempel.«
»Wäre es in Ordnung, wenn ich mir das mal anschaue?«
Niklas führte ihn zu einem engen Gang, von dem eine schmale Treppe nach oben führte und eine schiefe Tür in den Keller. »Sie müssen die Unordnung entschuldigen«, sagte er, während er die Tür öffnete und den Lichtschalter betätigte. Die Stufen sahen aus, als wären sie für Kinderfüße gedacht, man konnte gerade eben mit der halben Fußsohle auftreten. Am Fuß
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