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Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Titel: Der Mahlstrom: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frode Granhus
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verstehen wollten?«, fragte er.
    »Es dämmert mir.« Rino stand auf und balancierte geschickt zurück auf festen Untergrund. »Können Sie sich vorstellen, was das für ein Kontrast war?« Ein kurzer Windstoß zeigte, dass unter dem pudellockigen Vokuhila nicht mehr allzu viel steckte. »Diesem Mann wurde die Kindheit genommen.«
    Niklas konnte ihm nicht ganz folgen und runzelte die Stirn.
    »Die Puppen«, fuhr Rino fort. »Meiner Meinung nach sollen die Puppen die Spiele symbolisieren. Sie wissen schon, Puppen und Matchbox-Autos, Mädchenspiele und Jungenspiele.«
    Die Puppen.
    Ursprünglich hatten sie einmal die Liebe einer Mutter zu ihren Kindern symbolisiert.
    Zu ihren Kindern .
    Er dachte an Reinhard, wie er die Regie über Kariannes Leben übernommen hatte und wie sich seine wohlmeinende Liebe zur totalen Kontrolle auswuchs. Hatte Andrea damals auch die Kontrolle übernommen? So wie ihm die Geschichte erzählt worden war, schien Edmund kein Mann gewesen zu sein, der sich kontrollieren ließ. Außer man überlistete ihn. Nach Bergland zu ziehen war doch ihr Vorschlag gewesen, oder?
    Die Puppen.
    Ihre heimlichen Abstecher, als sie sicher war, dass Edmund sie nicht mehr ertappen konnte. Die Puppen, die kamen und gingen. Auf einmal begriff er alles. Die Geschichte hinter der Geschichte.

30

    Diesmal trat Niklas ein, ohne anzuklopfen. An der Küchentür blieb er stehen und lauschte. Von innen hörte man leises Gemurmel. Vielleicht zeigte sie irgendeiner verwirrten Seele gerade einen rettenden Weg auf. Schließlich verstummte das Murmeln, das ungefähr fünfzig Kronen pro Minute kostete, und er öffnete die Tür. »Hallo?«
    Er hörte Papier rascheln, und Sekunden später stand sie vor ihm. »Oh, hallo, Sie sind’s?« Ihr Lächeln war echt, aber nicht ganz bei der Sache. Anscheinend war er mitten in ihre Telefonsprechstunde geplatzt.
    »Ich muss mit Ihnen reden.«
    Ein Hauch von Verunsicherung und ein kurzes Zögern. »Okay. Kommen Sie rein.« Lautlos, mit weichen Bewegungen ging sie zum Telefon und schaltete den Anrufbeantworter an.
    »Was ist so eilig?«
    Er setzte sich auf seinen gewohnten Platz im Ledersessel, auf dem er gebannt der Geschichte von Edmund und Andrea gelauscht hatte. Jetzt richtete er den Blick auf die Frau, die vergeblich versuchte, eine entspannte Haltung einzunehmen. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt damit, anderen die Zukunft vorherzusagen. Vielleicht weil ihr eigenes Leben von Sehnsucht und unerfüllten Träumen geprägt war. »Sie sind Andreas erstgeborene Tochter«, sagte er.
    Sie senkte den Blick und rührte sich nicht. Dann steckte sie die Hand hinter das Kissen und holte eine Schachtel Marlboro hervor. Mit zitternden Händen steckte sie sich eine Zigarette an. Er hatte sie vorher nie rauchen sehen.
    »Wie kommen Sie darauf?«, fragte sie.
    »Haben Sie Bilder von Andrea?«
    Sie inhalierte immer noch tief und lang, und irgendwann schien sie endlich ruhig zu werden. Wortlos ging sie zu einer alten Schatulle und zog eine Schublade auf. Dann legte sie das Bild vor ihn hin. Die Frau auf dem verblassten Foto mochte ungefähr Mitte zwanzig sein. Ein reserviertes Lächeln und ein Blick, der sich kaum traute, der Linse zu begegnen. Sie wirkte zerbrechlich. Die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen, das war Lilly Maries Mutter. »Sie hat die Puppen rein- und rausgeschmuggelt.«
    Sie sah ihm in die Augen. »Das war ihre Art, uns zu vereinen. Außerdem hatte ich noch Puppen, die mir allein gehörten.«
    Niklas betrachtete Lilly Marie und meinte an ihr dieselbe Verletzlichkeit zu entdecken wie auf dem Bild ihrer Mutter.
    »Edmund hat dafür gesorgt, dass ich weggegeben wurde. Ich war Andreas Hurenkind, das Ergebnis einer naiven Liebe vor Edmunds Zeit. Ich war erst zwei Jahre alt, als sie mich zu ihrer Tante schickte. Erst wohnten wir in einem Nachbardorf, aber als ich acht war, zogen wir hierher.«
    »Warum?«
    »Warum? Hat meine Geschichte Ihnen denn kein deutliches Bild von Edmund vermittelt? Er hat mich vom ersten Tag an gehasst. Ich kann mich natürlich an nichts erinnern, aber sie versicherte mir jedes Mal, dass sie tat, was das Beste für mich war. Sie sah die Verachtung und den Hass in seinen Augen. Ich war eine lebende Erinnerung an ihre Liederlichkeit, und sie befürchtete, dass er mir eines Tages etwas antun und mich fürs Leben entstellen würde. Sie ließ mich nie aus den Augen, ließ mich keine Sekunde allein mit ihm. Deswegen leistete sie auch keinen Widerstand, als Edmund sich

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