Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
dann ergibt sich auch die eventuelle Verbindung zu Linea.«
»Und worum ging es bei den neuen Einbrüchen?«
Niklas blieb ihm die Antwort schuldig, obwohl ihm eine innere Stimme zuflüsterte: Um die Puppen .
Er blieb am Küchentisch sitzen und hatte das Gefühl, dass der Durchbruch in diesem Fall ganz nah war. Karianne hatte sich ein wenig hingelegt, denn sie brauchte im Moment mehr Ruhe als je zuvor. Doch am dringendsten brauchte sie eine neue Niere. Und zwar bald. Wieder spürte er einen stechenden Schmerz im Bauch, als würde sich sein Körper krümmen bei dem Gedanken an das, was ihn erwartete. Er schob die Bilder von seiner bevorstehenden Verstümmelung beiseite und konzentrierte sich stattdessen wieder auf die Sache. Lineas Verschwinden war eine systematische Einbruchserie gefolgt. Wonach hatte der Einbrecher gesucht? Und war es jemand, der ihr nahegestanden hatte? Vielleicht der Täter? Lilly Marie war Lineas heimliche große Schwester, doch er konnte sich nicht vorstellen, dass sie ihr wirklich hätte schaden wollen. Andererseits hatte sie die Puppen losgeschickt, die ihr Grab sicher nicht auf dem Meer hatten finden sollen. Die Flöße sorgten für eine sichere Reise, und die Strömung hatte sie schließlich an Land getrieben. Der Absender konnte sich schützen, doch für die Empfänger sollten die Puppe eine Bedeutung haben. Also für einen von ihnen, Konrad oder Lilly Marie. Oder vielleicht Heidi? Er rief sich die Szene ins Gedächtnis, wie sie mit Unterstützung ihres Bruders zur Fundstelle gekommen war. Ihr Gesichtsausdruck war so neutral gewesen, als würde man ihr nur noch eine Tatsache bestätigen, die bereits feststand. Er hatte nicht weiter darüber nachgedacht, sondern es unbewusst ihrer geistigen Zurückgebliebenheit zugeschrieben. Aber vielleicht war der Grund ein anderer. Vielleicht wusste sie schon Bescheid. Man hatte ihm erzählt, dass Heidi zurückgeblieben war, und er hatte sie im selben Moment abgehakt. Doch Lilly Maries Geschichte zeichnete ein ganz anderes Bild von Heidi. Es war ein Fehler gewesen, sie aus den Überlegungen auszuschließen.
Niklas wollte Konrad nicht beunruhigen, daher rief er Reinhard an, um sich zu erkundigen, wo Heidi wohnte. Als er die Antwort hörte, fand wieder ein Puzzleteilchen an seinen Platz. Kleivan. Er hatte am Strand an der Stelle gesessen, an der die Puppen seiner Meinung nach ihre Reise begonnen hatten, und in der Nähe ungefähr zehn Häuser gezählt. In einem dieser Häuser wohnte also Heidi. Sie war zwar nicht gut zu Fuß, aber sie hätte einen kurzen Weg gehabt.
Es war nach neun, als er das Auto abstellte und den Pfad betrachtete, der vom Parkplatz nach oben führte. Der Wind kam stoßweise, und er schmeckte Salz in dem feinen Sprühregen, der ihm auf der Haut prickelte.
Ein kleines gelbes Haus ganz nah am Meer, hatte Reinhard gesagt. Sein Schwiegervater war nach seiner plötzlichen Genesung voller Überschwang. Niklas hingegen spürte immer noch ein krampfhaftes Unbehagen im Bauch. Angst, wie er annahm. Andere hätten es vielleicht Feigheit genannt.
Der schwache Lichtschimmer, den die erleuchteten Fenster und Außenbeleuchtungen verbreiteten, gab nicht viel her, und er konnte nur gerade eben den schmalen Pfad erkennen. Wie er überrascht zur Kenntnis genommen hatte, wohnte sie alleine. Vielleicht war ihre Behinderung ja doch nicht so ausgeprägt.
Ihr Haus war tatsächlich gelb und klein, aber anscheinend gut gepflegt. Da er keine Klingel fand, machte er einfach die Haustür auf. Ein seltsamer Geruch schlug ihm entgegen, süß und sauer zugleich. Zwei Türen führten weiter ins Hausinnere. An der einen hing ein Messingbild von einem Jungen, der in einen Topf pinkelte, was ihm die Wahl leicht machte. Er blieb stehen und lauschte. Kein Geräusch von drinnen. Ob sie sich am Ende schon schlafen gelegt hatte? Wenn sie ganz in ihrer eigenen Welt lebte, hatte sie vielleicht auch einen anderen Tagesrhythmus. Er klopfte an und hörte kurz darauf ein gedämpftes »Herein«. Die Tür führte in eine kleine Küche, in der ein Klapptisch und zwei Stühle den Großteil des Raumes einnahmen. Der Geruch verstärkte sich. Eine Falttür aus nachgedunkeltem Laminat trennte die Küche vom Wohnzimmer, und durch einen kleinen Spalt konnte er einen Teil der Wohnzimmerwand erkennen. Sie war verdeckt von Porzellanpuppen.
Mit einem Geräusch, das nach schlecht geölten Angeln klang, wurde die Falttür aufgeschoben. Heidi betrachtete ihn mit einer neutralen Miene, als
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