Der Makedonier
Mann ein Thraker war. Zudem trug er einen schweren, dunkelgrünen Wollumhang, der ihn als Angehörigen einer der Küstenstämme kennzeichnete. Er war groß, etwa dreißig Jahre alt, und er besaß einen kunstvoll gelockten schwarzen Bart. Die Thraker waren, wenn sie nicht gerade das Vieh anderer Leute stahlen, die größten Händler des nördlichen Griechenlands.
Wo mochte dieser Mann hergekommen sein? Sie waren nur noch etwa einen Tagesritt von der makedonischen Grenze entfernt. Vielleicht war der Mann auf seinem Weg in den Süden auch durch Pella gekommen. Mit einer Mischung aus Freude und Angst hoffte Philipp, vielleicht gleich die ersten Neuigkeiten aus der Heimat seit zwei Jahren zu hören zu bekommen.
»Während du darauf wartest, daß der Wirt den Weg in den Keller findet, probier den meinen, Freund«, sagte Philipp in dem ländlichen Dialekt, den er auf Alkmenes Knien gelernt hatte. Ohne aufzustehen, hielt er dem Mann seinen Becher hin. »Dick wie Sirup und rot wie Blut – man könnte Fliegen damit fangen.«
Der Thraker nahm den angebotenen Becher, und nachdem er Philipp mit einem schelmischen Lächeln zugeprostet hatte, trank er ihn auf einen Zug aus.
»Das hat gutgetan, mein Freund«, sagte er und setzte sich auf den Hocker neben Philipp. »Ich danke dir, denn diese Griechen haben von Gastfreundschaft nicht m ehr Ahnung als eine Kuh, auf deren Hintern es von Fliegen wimmelt. Wie lange warst du denn von zu Hause weg?«
»Über zwei Jahre. Ich war in Theben, um dort Medizin zu studieren, aber ich fürchte, daraus ist nicht viel geworden.«
Philipp grinste wie ein Mann, der sich über die eigenen Schwächen lustig machen kann. Er hatte schon vor langer Zeit gelernt, daß die Leute alles Schlechte glauben, das ein Mann von sich erzählt, und er wollte damit peinlichen Fragen über die eigene Person zuvorkommen. Er freute sich, als er sah, daß der Thraker verständnisvoll nickte.
»Ich weiß, wie das ist – zuviel Anatomie bei den Huren studiert und zuwenig bei den Lehrern, was? Haha! Aber man ist ja nur einmal jung. Du hast nicht zufällig noch einen Schluck von dieser Achsenschmiere?«
Eine halbe Stunde später, nachdem sie zuerst Philipps Krug, dann den des Thrakers und auch einen dritten bereits zur Hälfte geleert hatten und Philipp alles über die Feinheiten des Lederhandels gehört hatte – es stellte sich heraus, daß der Mann überall im Norden, von Chalkidike bis Acarnania Handel trieb –, drehte sich das Gespräch endlich in eine vielversprechende Richtung.
»Na, ich kann mir vorstellen, daß du nicht allzu glücklich bist, wieder nach Hause zu kommen, was?« Der Lederhändler schüttelte den Kopf, wie um sich die Frage selbst zu beantworten. »Ich vermute, du bist aus Pella, weil Makedonien sonst fast nur aus Schlammlöchern besteht. Ganz schön langweilig, dieses Pella.«
»Warst du in letzter Zeit dort?«
»In letzter Zeit? O ja. Anfang letzten Monats war ich in Pella. Hab’ dort ein paar Geschäfte gemacht. Ein paar hundert Pferdehäute hab’ ich gekauft. Die Makedonier, das muß man ihnen lassen, wissen wirklich, wie man mit Pferden umgeht. Auf keiner von diesen Häuten war auchnur eine schlechte Stelle. Trotzdem bin ich gern weiter«! gezogen.«
»Und wie geht es dem König?« Philipp war es, als bliebe die Zeit stehen, während er auf die Antwort wartete.
»Na, recht gut, soweit ich weiß. Warum? Ist er ein besonderer Liebling von dir?« Der Thraker schlug Philipp auf den Rücken und lachte herzhaft. »Ja, recht gut. Ich hab’ ihn einmal gesehen. Ist direkt an mir vorbei durchs Stadttor geritten – wahrscheinlich zum Jagen. Es heißt, er ist ein begeisterter Jäger. Stattlicher Mann. Sein Pferd hat mir gefallen.«
Der Thraker trank mit nachdenklicher Miene einen Schluck Wein, und es sah aus, als durchlebte er in der Erinnerung noch einmal diese Begegnung mit dem makedonischen König. Vielleicht malte er sich aber auch nur aus, wie gut die Haut des königlichen Pferdes sich auf einem seiner Trockengestelle machen würde.
Aber etwas stimmte nicht. Perdikkas war, wenn er in den zwei Jahren nicht bedeutende Fortschritte gemacht hatte, ein schlechter Reiter, der immer so aussah, als würde er gleich vom Pferd fallen.
»Vielleicht war es gar nicht der König, den du gesehen hast«, gab Philipp zu bedenken. »Vielleicht…«
»O doch. Es war der König.« Er bekräftigte dies mit heftigem Nicken. »Ich weiß noch, daß jemand gesagt hat: >Hier kommt der König.< Ein Mann in
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