Der Makedonier
noch zu wissen?«
Alexandros warf den Kopf zurück und lachte. Doch das Lachen dauerte zu lange, und es klang irgendwie hohl.
»Was es auch sonst noch zu wissen geben mag«, sagte er schließlich, »du wirst es vor uns allen erfahren. Bardylis ist erschrocken über den kriegerischen Ruf des neuen makedonischen Königs, und er verlangt Garantien für unser künftiges Wohlverhalten. Deshalb wird es einen Austausch von Geiseln geben: Er schickt mir einen seiner zahllosen Nachkommen, und ich schicke ihm dich. Vergiß nicht, die Augen offenzuhalten, wenn du bei ihnen bist.
Es wird nicht für lange sein, und man wird dich als Ehrengast behandeln. Ich beneide dich fast, mein kleiner Bruder.«
Irgendwie wurde Philipp das Gefühl nicht los, der Stimme eines ganz anderen zu lauschen.
5
DIE ILLYRER HATTEN in Philipps Vorstellung schon immer einen besonderen Platz eingenommen. In den endlosen Kriegsspielen seiner Kindheit waren die Illyrer die beliebtesten Gegner. Während Arrhidaios, wenn es an ihm war, den Feind zu spielen, immer ein Athener General sein wollte, bevorzugten Philipp und seine anderen Freunde die Rolle der Illyrer. Sie waren grausam und gerissen, und ihre Reiterei war der makedonischen nahezu ebenbürtig. Außerdem standen sie in dem Ruf, faszi- nierende Schurken zu sein, ein Ruf, der nur halbwilden Völkern anhaftet.
Philipp erschrak denn auch, als er hörte, er werde König Bardylis ausgeliefert, denn er hatte genug Gerüchte über die Art gehört, wie die Illyrer ihre Gefangenen behandelten, um bei der Aussicht, ihnen in die Hände zu fallen, eine Gänsehaut zu bekommen. Doch dann schalt er sich einen Feigling, weil schließlich der Austausch diplomatischer Geiseln etwas vollkommen anderes war und die ganze Sache für ihn vermutlich ein wunderbares Abenteuer werden würde. Er begann sogar, sich darauf zu freuen, allerdings nur wenn er dabei vergessen konnte, mit welchem Gesichtsausdruck Alexandros es ihm gesagt hatte.
Doch der Sommer verging, und Philipp kam es allmählich so vor, als würde sein Aufenthalt bei den Illyrern nie Wirklichkeit werden. Die einzigen Reiter, die das öde Bergland zwischen den beiden Königreichen durchquerten, waren Boten, denn die Verhandlungen kamen nicht voran, so als hätte Bardylis insgeheim ganz andere Absichten.
Die Verzögerung zerrte an Alexandros’ Nerven.
»Was hat der alte Gauner denn vor?« tobte er. »Bildet der sich vielleicht ein, daß wir ewig warten?«
»Ich könnte selbst zu ihm gehen«, bemerkte Ptolemaios achselzuckend, als wäre er gar nicht so recht davon überzeugt, daß sein persönliches Eingreifen in diesem Fall etwas nutze. Doch er kannte den Charakter seines Königs sehr genau: Alexandros nahm das Angebot sofort an.
»Ja, unbedingt. Geh, sobald du kannst.«
Am nächsten Morgen brach Ptolemaios auf. Zwanzig Tage später kehrte er mit einem Abkommen wieder zurück. In fünfzehn Tagen sollte der Austausch der Geiseln am Vatokhoripaß stattfinden. Falls es noch zusätzliche Vereinbarungen gab, wußten nur Ptolemaios und vielleicht der König etwas von ihnen.
Und Philipp war es gleichgültig. Ihm war nur wichtig, daß er in zehn Tagen schon unterwegs nach Norden sein würde. Er würde den schützenden Hafen der Familie verlassen und unter Fremden das Leben eines Mannes leben. Vermutlich würde es sogar gefährlich sein – er hoffte, daß es gefährlich sein würde. Er wußte nicht, wie er die wenigen Stunden, die er noch in Pella zubringen mußte, ertragen sollte.
Aber Alkmene zuliebe verbarg er seine Ungeduld.
Die arme Alkmene, die er wie ein leiblicher Sohn liebte, wie sie kummervoll jede seiner Bewegungen verfolgte! Er erinnerte sich, daß sie ihn während der Krankheiten seiner Kindheit genauso angesehen hatte, als fürchtete sie beinahe, sie würde ihn nie wiedersehen.
Am Morgen seiner Abreise wurde er ganz offiziell verabschiedet, selbst der König war gekommen, um ihn zu umarmen. Eine kleine Gruppe hatte sich versammelt, in der er seine Mutter erkannte und – sein Herz schlug schneller – seine Base Arsinoe. Als er sein Pferd bestieg, kreuzten sich ihre Blicke, und er lächelte. Einen winzigen Augenblick lang erwiderte sie das Lächeln und schlug dann die Augen nieder. Seine Mutter würdigte ihn kaum eines Blickes.
»Nimm das, mein Prinz«, flüsterte Alkmene. Stumm wie ein Schatten war sie an ihn herangetreten und streckte ihm eine prall gefüllte Ledertasche entgegen, während sie verstohlen die Hand auf sein Knie
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