Der Makedonier
legte. Alkmene hatte Angst vor Pferden, vor allem vor Philipps, und so konnte nur der Mut der Verzweiflung sie dazu gebracht haben, sich so nahe heranzuwagen. »Es ist ein langer Weg bis zu diesem Ort, und du wirst Hunger bekommen.«
Philipp lachte, denn nicht einmal jetzt brachte sie es Übers Herz, die Illyrer beim Namen zu nennen oder auch nur zuzugeben, daß sie überhaupt existierten. Er ging nicht zu ihnen, sondern an »diesen Ort«.
Er nahm die Tasche, die sich noch warm anfühlte und nach gebratenem Lamm duftete – ihr Inhalt würde ihn zweifellos einen ganzen Monat ernähren – und beugte sich dann zu ihr hinunter, um sie auf den Mund zu küssen.
»Du machst dir viel zuviel Sorgen, Alkmene«, sagte er, immer noch lachend. »Der alte Bardylis wird mir vielleicht die Kehle durchschneiden, aber daß er mich verhungern läßt, ist unwahrscheinlich.«
Dann zog er die Zügel an, wendete sein Pferd und galoppierte vom Hof des Palasts, so daß seine Begleiter Mühe hatten, ihm zu folgen.
Obwohl es erst Spätsommer war, roch der Wind, der durch den Vatokhoripaß pfiff, nach Schnee. Philipp zitterte unter seinem Schaffellumhang. Er konnte nichts dagegen tun. Er fror so sehr, daß er das Gefühl hatte, er würde nie wieder warm werden. Ein Bach floß über den Pfad, und sein Wasser war so kalt, daß es an den Steinen zu klirren schien wie Eissplitter.
Auf der anderen Seite des Baches saßen auf Pferden mit zotteligem Winterfell ein illyrischer Soldat und ein weichlicher, feingliedriger Knabe von acht oder neun Jahren, der sich an der Mähne seines Tieres festklammerte, als hätte er Angst herunterzufallen. Der Junge war vermutlich ein Sproß des Königshauses, obwohl er kaum so aussah: Seine Nase lief, und das einzig Lebendige in seinem Gesicht war ein Ausdruck der Unzufriedenheit, der sich um seine Augen abzeichnete. Er schien kein Interesse zu haben an den Fremden, wegen denen er die lange Reise an diesen öden Ort unternommen hatte.
Der Krieger dagegen musterte Philipp mit eindringlichem und feindseligem Blick. Seine riesige linke Hand hielt die Zügel mit fast weiblicher Zärtlichkeit, aber der Rest seines starken, geschmeidigen Körpers schien angespannt vor Wut.
»Vielleicht haben sie doch vor, mir die Kehle durchzuschneiden«, flüsterte Philipp und drückte Alastor die Fersen in die Flanken. Obwohl sich die Furcht in seinen Eingeweiden ringelte wie eine Schlange, durfte er auf keinen Fall ängstlich wirken. Während sein Pferd auf die Illyrer zuging, hörte er das Platschen der Hufe in dem flachen Bach; es klang wie die Schreie entsetzter Frauen.
»Ich bin Philipp, der Sohn des Amyntas und Prinz von Makedonien«, sagte er mit einer Stimme, deren Festigkeit ihn selbst überraschte. »Ich bin der, wegen dem ihr gekommen seid.«
Der Krieger sagte nichts. Er beugte sich nur zur Seite, um dem Pferd des Jungen auf den Rumpf zu schlagen, damit es ebenfalls in das eisige Wasser stieg. Als sie aneinander vorbeiritten, musterte Philipp den Jungen, der mit glasigem Blick ins Leere sah, als verstünde er gar nicht, was um ihn herum passierte, oder als wäre es ihm gleichgültig. Philipp packte das Entsetzen.
Er drehte sich zu seinen Begleitern um, Männer, mit denen er vier Tage und vier Nächte lang unterwegs gewesen war, und hob mit einem verkrampften Lächeln die Hand zum Gruß. Einer von ihnen ritt ein paar Schritt nach vorn und schien etwas sagen zu wollen, doch dann faßte er nur das Pferd des illyrischen Jungen beim Zügel und führte es mit sich.
»Dann hält uns hier nichts mehr«, sagte Philipp zu seinem neuen Führer und ergänzte dann in dem Befehlston, den er von Alexandros gelernt hatte: »Bring mich zu König Bardylis.«
Der Illyrer schien ihn nicht gehört zu haben. Etwa eine halbe Stunde lang verharrten sie schweigend und sahen den Makedoniern nach, bis sie den Blicken entschwanden. Dann wendete der Illyrer sein Pferd, ritt den Weg zurück, den er gekommen war, und überließ es Philipp, ihm zu folgen oder nicht.
Als sie an diesem Abend das Lager aufschlugen, waren sie bereits hoch im Gebirge, und der Wind riß an ihrem dürftigen Feuer, so daß sie kaum etwas von seiner Wärme spürten. Philipp wickelte sich in seinen Schaffellumhang, ihm war hundeelend zumute. Schlafen war unmöglich, nicht nur, weil er Angst hatte zu erfrieren, sondern auch, weil der Illyrer, der ein gutes Stück vom Feuer entfernt an einen Felsen gelehnt dasaß und die Kälte nicht zu spüren schien, den ganzen Tag
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