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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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Ausmaß der Gefahren begreifen, die auf sich zu nehmen er bereit war, die er bereits auf sich genommen hatte, um das zu erreichen, was er begehrte, wie kein Mann je eine Geliebte begehrt hatte. Was war das bloße Fleisch oder sogar das Leben selbst im Vergleich mit der Faszination der Macht? Die Gier nach Macht konnte alles verändern, sie konnte sogar aus seiner Angst vor dem Tod, den er fürchtete, obwohl er ihn hofierte, ein beinahe sinnliches Vergnügen machen.
    Mit Sicherheit hatte die Gier ihn verändert, denn Ptolemaios lebte schon seit seiner ersten Stunde am Hof. Archelaos, sein Großvater, hatte damals geherrscht, ein eitler, großspuriger Mann, und Ptolemaios, der zweite Sohn seines zweiten Sohns, erinnerte sich deutlich an ihn, an sein dröhnendes, überlautes Lachen und sogar noch an den Geruch seines Barts. Er war einer der Männer gewesen, die das Verderben anzuziehen scheinen. Und schließlich war es über ihn gekommen. Einer seiner Edlen, ein Mann namens Crataeas, hatte ihn ermordet, weil er dessen Verlobung mit der jüngsten Königstochter gelöst hatte.
    Darauf folgten acht Jahre des Chaos, Jahre, in denen Ptolemaios zum Mann heranwuchs. Archelaos’ Sohn Orestes folgte ihm auf dem Thron nach und teilte sein Schicksal, denn er wurde erschlagen vom Bruder seines Vaters, seinem Onkel Aeropos, der daraufhin seinen Platz einnahm, ein paar Jahre regierte und starb. Dann wurden, zwischen einem Winter und dem nächsten, zwei weitere Könige gekrönt und ermordet, zuerst Archelaos’ zweiter Sohn Amyntas der Kleine, Ptolemaios’ Vater, und dann Aeropos’ Sohn Pausanias.
    Als dann die Makedonier unter Waffen erneut zusammentraten, um einen König zu wählen, erkannte Ptolemaios mit der unbarmherzigen Klarsicht des zum Herrschen Geborenen sofort, daß er nicht die geringste Aussicht hatte, seinem Vater nachzufolgen: Schließlich war er kaum mehr als ein Junge, und die Makedonier wollten einen starken König, der dem Blutvergießen und der Schwäche ein Ende machte. Und er erkannte auch, wenn er sich jetzt zu sehr in den Vordergrund schob, würde ihn das nur zu einem ehrgeizigen und gefährlichen jungen Mann stempeln, einem jungen Mann, den neue Könige am meisten fürchten und für dessen Verdammung sie sich beeilen, einen Vorwand zu finden. Er achtete deshalb darauf, daß er einer der ersten war, die sich für Amyntas, den Sohn des Arrhidaios, aussprachen.
    Pausanias hatte einen Sohn seines Namens hinterlassen, ein Kind, das noch am Rockzipfel der Mutter hing, und einige hatten daran gedacht, ihn zu wählen und die Macht im Staat in die Hände eines Regenten zu legen. Aber ein Junge als König begünstigt Mord und Chaos, und als deshalb Ptolemaios aufstand und mit seinem Schwert Aufmerksamkeit heischend auf seinen Brustpanzer schlug, waren viele der Makedonier bereit, auf ihn zu hören.
    »Wieviel mehr müssen wir noch erleiden, bevor unser Staat auseinanderbricht und von unseren Feinden verschlungen wird?« rief er. »Laßt uns nicht der ZerstörungTür und Tor öffnen, sondern laßt uns – wenigstens einmal – einen König wählen, dessen Stammbaum nicht mit dem Blut des Verrats beschmiert ist. Noch ist einer unter uns aus dem Geschlecht der Argeaden, in der Blüte seiner Jahre, einer, der sich bewährt hat und dessen Fähigkeiten wir alle kennen…«
    Am Ende gab es natürlich keine andere Wahl. Ptolemaios’ Klugheit hatte darin bestanden, daß er das ein wenig früher erkannt hatte als die anderen.
    In der folgenden Zeit hatte er dann bewiesen, daß seine Treue über wohlgesetzte Worte in der Ratsversammlung hinausging. Als die Illyrer den neuen König ins Exil jagten, ging Ptolemaios mit ihm, verhandelte mit den Thessalern um militärische Unterstützung und diente als Rittmeister in dem einjährigen Feldzug zur Rückgewinnung von Pella und Amyntas’ Thron.
    Er hatte Belohnungen erhalten, denn der Herrscher von Makedonien war großzügig in seiner Dankbarkeit: Ländereien, Auszeichnungen, bedeutende Kommandos und schließlich des Königs einzige Tochter als Frau. Aber nie genug.
    Denn Ptolemaios, der Sohn und der Enkel von Königen, konnte nicht anders, als sich zu fragen, warum ein anderer Mann ihn an Ruhm überstrahlen sollte. Sein Blut machte ihn Amyntas ebenbürtig oder erhob ihn sogar über ihn, denn Amyntas’ Großvater war schließlich nur der letztgeborene Sohn des alten Königs Alexandros gewesen. Und doch war Ptolemaios der Diener und Amyntas der Herr.
    Also sann Ptolemaios auf Rache.

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