Der Makedonier
Dunkelheit davonzuschleichen.
Dennoch hatte es sein Gutes, daß er seine Feinde wenigstens gesehen hatte. Jetzt waren sie für ihn eine begrenzte Anzahl Männer, und er hatte gelernt, sie zu hassen.
Am nächsten Morgen verbarg sich Philipp in einer dichten Baumgruppe, streichelte Alastor die Nüstern, damit er nicht wieherte, wenn er ihre Pferde witterte, und sah zu, wie seine Verfolger aus dem Tal hinausritten. Er hatte vor, ihnen einen Vorsprung zu geben und ihnen dann zu folgen. Wenn er Glück hatte, brauchten sie den ganzen Tag, bis sie merkten, daß sie seine Spur verloren hatten, und dann noch länger, bis sie auf den Gedanken kamen, umzukehren. Vielleicht fiel ihm in dieser Zeit etwas ein, und wenn nicht, hatte er doch wenigstens einen Tag länger gelebt.
Die Landschaft wurde schnell flacher und bot immer weniger Verstecke, allerdings konnte er ihnen, falls sie ihn entdeckten, in einem solchen Gelände leichter entkommen als auf einem schmalen Gebirgspfad. Trotzdem folgte er seinen Verfolgern mit der allergrößten Vorsicht.
Alle paar Stunden gestattete er sich einen kurzen Blick auf sie. Einmal sah er, daß sie sich über ein kleines Gewirr von Pfaden verteilt hatten und nach seiner Spur suchten. Nach einer Weile kamen sie wieder zusammen und ritten weiter. Während der ganzen Zeit machten sie keine Anstalten, den Weg zurückzureiten, den sie gekommen waren, so als käme es ihnen gar nicht in den Sinn, daß er etwas anderes tun könnte, als vor ihnen davonzulaufen wie ein aufgeschreckter Hase. Schließlich jagten sie ja nur einen Jungen.
Gegen Abend erreichte der Trupp eine kümmerliche Ansammlung von etwa zwanzig oder dreißig Hütten, ein Bauerndorf, das arm und schutzlos aussah, obwohl es vielleicht schon vierhundert Jahre an diesem Fleck stand. Die Männer hielten an, um die Bewohner zu befragen.
Philipp war in den vergangenen Tagen an zwei oder drei solcher kleiner Siedlungen vorbeigekommen, hatte sie jedoch immer gemieden, weil er wußte, daß ihre Bewohner gar nicht anders konnten, als ihn zu verraten – wie sollten sie auch etwas anderes tun, da sie schutzlos waren und in beständiger Furcht vor den Dardanern lebten?
Er stieg ab und sah aus dem schützenden Schatten einer Bergflanke heraus zu, wie Pleuratos’ Männer einen Bauern mit einem grauen Bart, vermutlich den Dorfältesten, verhörten. Die anderen Dorfbewohner umstanden sie mit ergeben gesenkten Köpfen in einem weiten Kreis. Verstehen konnte Philipp nichts, obwohl die Männer zu schreien schienen, aber er sah genug, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie Bardylis und seine Krieger die Vasallenvölker unterwarfen und gefügig hielten.
Sie bedrängten den alten Mann, stießen ihn und schlugen ihn sogar mit der Breitseite ihrer Schwerter, als würden sie ihn in Stücke hacken, wenn ihnen seine Antworten nicht gefielen. Er hatte allen Grund, um sein Leben zu fürchten.
Schließlich schienen sie wirklich überzeugt zu sein, daß er ihnen nichts sagen konnte, denn sie ließen von ihm ab und setzten sich um ein Feuer, über dem an einem eisernen Dreifuß ein Kochtopf hing. Sie begannen zu essen und schrien dabei immer wieder Befehle, offensichtlich verlangten sie nach Getränken, denn die Dorfbewohner schleppten acht oder zehn Krüge herbei – wahrscheinlich jeden Tropfen, den der Ort besaß.
»Sie werden über Nacht bleiben«, dachte Philipp. »Warum auch nicht, in einer Stunde ist es dunkel. Sie werden froh sein, es sich einmal gemütlich machen zu können. Hoffentlich wissen die Leute, wie man starkes Bier braut.«
Die Nacht brach herein, und als Philipp sicher war, daß sie ihn schützen würde, kroch er vorsichtig auf die Hütten zu. Während er geräuschlos von einem Versteck zum anderen huschte, konnte er hören, daß auch andere sich durch die Dunkelheit bewegten: Es waren Dorfbewohner, die sich, einzeln oder zu mehreren, davonschlichen, um sich zu verstecken, bis die Eindringlinge wieder abgezogen waren.
Einige hatten allerdings nicht soviel Glück.
Ein paar Frauen des Dorfes, wohl nicht gerade Schönheiten, aber jung und verängstigt, kauerten neben dem Feuer. Sie bedienten Pleuratos’ Männer und blieben immer in ihrer Nähe, weil sie Angst hatten davonzulaufen. Eine von ihnen hatte ihr Gesicht in den Händen verborgen und weinte leise. Philipp war nahe genug, um ihr Schluchzen deutlich zu hören.
Die Dardaner schien ihr Leid zu belustigen; einer von ihnen hob immer wieder den Saum ihrer Tunika mit seiner Schwertspitze
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