Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
darauf gewartet, rückten sie nun doch nach Mailand vor. Wenige Tage nach Sforzas Flucht fiel die Stadt.
Der Kommandeur des herzoglichen Schlosses, der für Sforza die Stellung halten sollte, war klug genug, sich widerstandslos zu ergeben. Im Verbund mit den Franzosen richtete der Mailänder Mob aber in seiner Wut über das klammheimliche Verschwinden des Herzogs ein einziges Werk der Zerstörung in der gefallenen Stadt an. Sämtliche Häuser und Palazzi von Sforzas Getreuen wurden geplündert und dem Erdboden gleichgemacht. Ludwig XII . wartete ab, bis die Mailänder ihren Rachedurst befriedigt und sich die Wogen so weit geglättet hatten, dass keine Gefahr für sein Leben bestand, um einen Monat später triumphal in Mailand einzuziehen.
Als Leonardo die Bank verließ, wo er sein gesamtes Geld nach Florenz hatte überweisen lassen, erwartete ihn draußen ein halbes Dutzend französischer Fußsoldaten samt Befehlshaber zu Pferd.
Dass keiner eine Waffe auf ihn richtete, wertete Leonardo als gutes Zeichen. Sein Herz schlug zwar schneller als normal, aber wirkliche Angst hatte er nicht. Die würde vielleicht noch kommen. Er hatte in kritischen Momenten schon häufiger erlebt, dass der Schock erst mit leichter Verzögerung eintrat. Sein Geist hatte noch damit zu tun, die Situation zu analysieren.
Da erkannte er den aristokratisch aussehenden Reiter. Es war niemand Geringeres als der Comte de Ligny, Truppenführer Karls VIII. und nun wohl auch Ludwigs XII . Er war ihm im Castello Sforzesco begegnet, als die Franzosen ihren letzten Vorstoß nach Italien unternommen hatten.
»Meister da Vinci, wenn ich mich nicht irre?« Der Graf sprach ein fast fehlerloses Italienisch.
Leonardo nickte. »Zu Euren Diensten, Herr.«
Der andere blickte an ihm vorbei zum Eingang der Bank. »Sie wollen Mailand doch wohl hoffentlich nicht verlassen!«
»Ich trage mich mit dem Gedanken, zu gegebener Zeit an meinen Geburtsort zurückzukehren, Herr.«
»Florenz, nicht wahr?«
»Es erstaunt mich, dass Ihr das wisst«, sagte Leonardo wahrheitsgetreu.
Der Graf lächelte vage. »Sie laufen nicht mit einem Sack über dem Kopf herum, Meister.«
Il Moro , dachte Leonardo. Er hatte damals bestimmt von ihm gesprochen. Der Herzog hatte sich immer gern mit den Künstlern und Wissenschaftlern in seiner Entourage gebrüstet.
»Darf ich fragen, was Ihr von mir wollt?«
»Wir haben etliche Künstler vor der Wut des Mailänder Mobs bewahren können, im Gegensatz zu einigen sonstigen Günstlingen Herzog Sforzas. Dafür erwarten wir einen Beweis ihrer Dankbarkeit.«
»Den kann ich Euch nur auf eine Weise erbringen, Herr.«
Der Graf nickte. »Und die ist die richtige. Sie haben einen Bewunderer in unserem König, Meister da Vinci. Ich werde Sie ihm bei Gelegenheit vorstellen. Seine Hoheit wird Sie zweifellos bald mit Aufträgen versehen. Übrigens, soweit ich vernahm, sind Sie auch im Entwerfen von Rüstungen versiert?«
Leonardo forschte im Gesicht seines Gegenübers, doch das blieb ausdruckslos. »Ich befasse mich oft zeichnerisch mit allerlei Werkzeugen, die das menschliche Handeln erleichtern könnten, und das auch auf dem Gebiet der Kriegsführung.«
Der Graf nickte zufrieden. »Gut, dann hätte ich auch etwas für Sie zu tun.«
Leonardo hätte eigentlich froh darüber sein müssen, dass sich die Dinge so entwickelten. Aber das war er ganz und gar nicht. Er spielte nicht gern den Handlanger für einen vorgeschobenen Posten des französischen Hofes, zumal die Besatzer sich womöglich einfallen ließen, ihn für irgendwelche Nichtigkeiten einzuspannen. Das war keine Frage von nationalistischen Gefühlen, denn die waren ihm weitgehend fremd. Der einzelne Mensch interessierte ihn tausendmal mehr als ein Staat oder ein Volk. Im Prinzip hätte er also genauso gut für die Franzosen arbeiten können, wie er es bisher für den Herzog von Mailand getan hatte. Entscheidend war jedoch, dass Il Moro ihm ganz gegen seinen unguten Ruf immer Freiräume gelassen hatte, so dass er nach seiner eigenen Fasson und in seinem eigenen Tempo arbeiten konnte. Und so sollte es möglichst auch bleiben.
Da tat der Comte de Ligny etwas, was Leonardos letzte Zweifel ausräumte. Er saß ab und beugte sich, sein Pferd mit einer Hand am Zügel haltend, in fast schon peinlicher Vertraulichkeit zu Leonardo. »Vielleicht können wir Sie ja doch nach Florenz ziehen lassen. Sie könnten uns von dort darüber berichten, wie es um die Stabilität der neuen Republik bestellt ist.
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