Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
Wir sind an Details interessiert, die einem wachen Beobachter wie Ihnen gewiss nicht entgehen werden.«
»Heißt das, Ihr tragt Euch mit dem Gedanken, auch Florenz früher oder später einzunehmen, Herr?«, fragte Leonardo, ohne sich eine Regung anmerken zu lassen.
Der Graf wandte sich sofort brüsk ab und schwang sich geschwind wieder in den Sattel. »Ich erwarte Antworten und keine Fragen«, sagte er noch. Dann trabte er davon. Seine sechs Fußsoldaten mussten sich sputen, um Anschluss zu halten.
»Wir packen«, sagte Leonardo eine halbe Stunde später zu Salaì. »Aber möglichst unauffällig. Die Nachbarn brauchen nichts davon zu wissen.«
Salaì, der gerade an einem kleinen Bild von einer Rebe arbeitete, schaute beunruhigt auf. »Was ist passiert?«
Leonardo wollte Salaì nicht unnötig beunruhigen und sagte daher nichts von Comte de Lignys Ansinnen, für ihn zu spionieren. »Ach, ich will einfach nicht noch länger warten. Ich habe jetzt fast achtzehn Jahre in Mailand verbracht und gehe auf die fünfzig zu. Womöglich habe ich bald nicht mehr die Kraft umzuziehen.«
»Aber… Und das Haus hier?«
»Das läuft nicht weg – im Gegensatz zu Besatzern, die irgendwann wieder verschwinden oder vertrieben werden.«
»Wohin gehen wir?«
Nicht nach Florenz, dachte Leonardo. Jedenfalls nicht gleich, denn es kann gut sein, dass sie mich dort suchen werden. »Das werde ich mir jetzt einmal anschauen«, sagte er.
Er verschwand in sein Arbeitszimmer.
23
Mantua erwies sich als hübsche kleine Festungsstadt, die vom eindrucksvollen Schloss des Markgrafen Francesco Gonzaga II . und seiner Gemahlin Isabella d’Este beherrscht wurde.
»Von Gonzaga weiß ich wenig«, erklärte Leonardo, als sie mit ihrem Gespann über das Pflaster des Marktplatzes ratterten, der an diesem kalten Dezembertag völlig verlassen dalag. »Aber Ambrogio sagt, dass Isabella d’Este viel Geld mit in die Ehe gebracht hat. Ich weiß nicht, ob es stimmt, Ambrogio entwickelt manchmal recht viel Phantasie, aber sie soll mit einem aufsehenerregend herausgeputzten Schiff auf dem Po zur Hochzeit angereist sein und dann auf einem Triumphwagen Einzug in die Stadt gehalten haben. Mitsamt ihrer Mitgift in fünfzehn zum Bersten gefüllten Truhen.«
Er schmunzelte, als Salaì einen demonstrativen Blick auf ihre eigene Habe hinten im Wagen warf: zwei schäbige Kisten mit Kleidung und Malutensilien und Bündeln überwiegend technischer Zeichnungen und Notizen Leonardos.
»Die Mitgift bestand zu einem großen Teil aus Juwelen und Edelsteinen, wie es heißt. Ihre selige Schwester Beatrice muss genauso gut ausgestattet gewesen sein, und dazu kam dann noch das Vermögen von Il Moro , Aber Beatrice hatte anderes im Sinn, als nur Besitz anzuhäufen.«
»Feiern und tanzen«, sagte Salaì. »Bis zum Umfallen. Im wahrsten Sinne des Wortes.«
Leonardo nickte betrübt. »Isabella scheint mir ein ziemlicher Drachen zu sein, und die leben bekanntlich länger. Aber ich kann mich auch täuschen, ich habe sie ja nur kurz gesprochen. Mag sein, dass sie in ihrer eigenen Umgebung ein ganz reizender Mensch ist.«
Salaì sah Leonardo von der Seite an. »Glaubst du das wirklich?«
»Nein«, antwortete Leonardo. »Wir werden sehen; wenn es uns hier nicht gefällt, reisen wir gleich weiter nach Venedig. Es heißt, dass dort dringend Ingenieure gebraucht werden.«
»Du wirst auf deine alten Tage noch zum erfahrenen Reisenden, wer hätte das gedacht!«
Mit einem Ruck an den Zügeln brachte Leonardo das Gespann zum Stehen. Ohne Salaì anzusehen, sagte er grimmig: »Wenn du es wagst, im Zusammenhang mit meiner Person noch einmal das Wort ›alt‹ auszusprechen, werde ich eigenhändig dafür sorgen, dass der Kelch des Älterwerdens an dir vorübergeht!«
Salaì blieb einige Atemzüge lang stumm, bevor er sagte: »Entschuldige bitte, ich vergesse manchmal, an welcher Stelle du empfindlich bist.«
Schweigend setzte Leonardo das Pferd wieder in Bewegung. Wenig später sagte er: »Wir suchen jetzt ein Gasthaus, wo wir ein wenig ausruhen können. Und ich muss noch einen Kurier zum Schloss schicken, um unser Kommen anzukündigen.« Denn so war es vereinbart gewesen, wie ihm jetzt einfiel. Wegen ihrer etwas überstürzten Abreise aus Mailand hatte er keine Zeit mehr gehabt, daran zu denken. »Hoffen wir, dass die gestrenge Frau Gräfin uns dann alsbald Unterkunft gewährt, denn ich habe nicht sehr viel Geld in der Tasche.«
Salaì sagte: »Weißt du, wen ich jetzt schon am
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