Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
Felsgrottenmadonna einig werden.
»Sie haben uns nicht enttäuscht, Meister da Vinci«, stellte Carlo Casati fest. Es klang fast, als bedaure er das. »Trotz gewisser Eigenmächtigkeiten, vor denen man uns schon gewarnt hatte.« Er sah Leonardo vorwurfsvoll an. »Was die dargestellten Figuren betrifft, entspricht die Tafel nicht ganz dem, was die Bruderschaft ursprünglich vor Augen hatte.«
Sie standen mit Ambrogio de Predis und einer Handvoll Mitgliedern der Bruderschaft in der Kapelle der Kirche San Francesco Grande und betrachteten das vollendete Altarbild.
Leonardo erwiderte den Blick Casatis, ohne mit der Wimper zu zucken. »Der Künstler hat stets der Muse zu gehorchen, Herr Casati. Der wahre Künstler zumindest. Jeder Kenner wird das bestätigen.«
»Dem wahren Künstler ist offenbar auch eine gewisse Unverfrorenheit nicht fremd!«
»So, wie die List zum Geschäftsmann gehört, Herr Casati. Und darf ich so frei sein, Sie darauf hinzuweisen, dass das Werk, das hier allseits bewundert wird, nicht allein mein Verdienst ist?«
»Gewiss, auch die Seitentafeln sind außerordentlich schön geworden, und den Rahmen hat Meister de Predis ohne Frage fachkundig wieder zu Ehren gebracht. Doch es lässt sich nicht leugnen, dass es die Madonna selbst ist, welche alle Blicke auf sich zieht.«
»Mag sein, aber…« Leonardo verstummte, als Ambrogio ihn diskret anstieß, dass er den Mund halten solle.
Casati bemerkte säuerlich: »Falls ich nicht auf Anhieb jedes Detail erkenne und verstehe, heißt das noch lange nicht, dass ich keinen Sinn für Qualität habe, sei es die eines fachkundig gefertigten Sattels oder die eines Gemäldes.«
»Was wir hier sehen, ist eine Szene aus der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten. Sie rastet in einer zufällig gefundenen Felsengrotte«, erläuterte Ambrogio. »Die hier deutlich zu erkennenden Pflanzen haben einen tief religiösen symbolischen Gehalt. Das Labkraut über der rechten Hand der Heiligen Jungfrau etwa steht für die Krippe. Die Alpenveilchen zu Füßen des Jesuskindes sind Emblem für Liebe und Zuwendung. Und die Primeln hier unter dem Johannesknaben sind ein Symbol für die Tugendhaftigkeit. Worauf wir auch achten sollten, ist das subtile Spiel der Hände…«
»Was ich vor allem sehe, ist, dass dies alles ungemein lebensnah aussieht«, unterbrach ihn ein Leonardo unbekanntes Mitglied der Bruderschaft. »Mir ist, als müsse ich mich festhalten, um nicht in dieses Bild hineingesogen zu werden. Welche Enttäuschung, wenn man die Hand ausstreckt, um es zu berühren, und nichts als Holz und Farbe fühlt.« Er lächelte über seine eigenen Worte.
»Majestätisch«, murmelte ein anderer und nickte beipflichtend.
Geschmeichelt, aber auch ein wenig verwundert hörte sich Leonardo die vielen lobenden Worte an, die geäußert wurden, als wäre er gar nicht anwesend. Schön, das Bild war endlich zu dem geworden, was er seit Jahren im Geiste mit sich herumgetragen hatte, und er wusste, dass es gut war. Doch dass man darüber geradezu ins Schwärmen geriet, entfremdete ihn fast ein wenig von seinem eigenen Werk, und er stand davor, als sei es das eines anderen.
Casati fasste ihn beim Ellbogen und zog ihn von den anderen fort, bis sie außer Hörweite waren. Auch da ließ er seinen Ellbogen nicht los, als sei sein Stock allein ihm nicht genug, um sich auf den Beinen halten zu können.
»Ich könnte Ihnen noch weitere Aufträge besorgen«, sagte er beinahe flüsternd. »Viele Aufträge. Nach dem, was ich jetzt von Ihnen gesehen habe, kann ich Sie meinen Bekannten uneingeschränkt weiterempfehlen.«
Leonardo sah den alten Mann misstrauisch an. »Aber?«
»Es gibt kein Aber.« Casati schaute sich wachsam zu den anderen um. »Ich möchte lediglich einen Anteil vom Ertrag.«
»Ach? Und wie groß soll dieser Anteil sein, Herr Casati?«
»Zwanzig Prozent von den kleineren Arbeiten und zehn von den Großen erschiene mir mehr als billig. Sie können das ja einfach im Preis mit einkalkulieren, so dass Sie selbst keinerlei Einbußen hätten.« Als Leonardo nicht sofort reagierte, bemerkte er ungeduldig: »Sie brauchen gar nicht so schockiert dreinzublicken, Meister. Dass Geld Ihnen nicht einerlei ist, haben Sie mehr als deutlich zu erkennen gegeben, und nun könnten Sie mit meiner Unterstützung womöglich bald wohlhabend sein.«
» Dimmi , warum wollen Leute, die ohnehin schon mehr besitzen, als sie je ausgeben können, immer noch etwas obendrauf?«
Zu seiner Überraschung
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