Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
reagierte Casati keineswegs erzürnt. »Weil wir Sammler sind«, antwortete er ruhig. »Und wahre Sammler haben nie genug. Ob Kunst oder Waffen, Bücher, Kleider, Juwelen oder was auch immer, ihre Sammlung ist nie komplett. Und ich sammle zufällig Geld, Meister da Vinci. Also, was ist, soll ich einen Vertrag aufsetzen lassen?«
»Ihr Angebot ehrt mich, Herr Casati. Aber nein, ich ziehe es vor, möglichst unabhängig zu bleiben.«
Casati ließ seinen Arm los. »Glauben Sie denn, Il Moro wird ewig seine schützende Hand über Sie halten?« Von Wohlwollen war in seiner Stimme plötzlich nichts mehr zu hören.
»Ich kann durchaus auf eigenen Beinen stehen, Herr Casati. Auch ohne die Hilfe des Herzogs.«
»Weißt du, was mit dir ist?« Casati bohrte Leonardo seinen krummen Zeigefinger in die Brust. »Du willst dich bloß bei niemandem bedanken müssen, das ist dein Problem!«
Leonardo ging nicht weiter darauf ein. »Die Bruderschaft hat mir einen Auftrag erteilt, den ich ordnungsgemäß ausgeführt habe, und dafür bekomme ich die vereinbarte Bezahlung. Damit ist die Angelegenheit meiner Meinung nach zu beidseitiger Zufriedenheit erledigt. Wollen wir es dabei belassen, Herr Casati?«
Casati gab sich geschlagen. »Ich hoffe für Sie, dass Ihnen das nicht irgendwann leidtun wird, Meister da Vinci.« Er drehte sich um und humpelte wieder zu den anderen zurück.
Leonardo warf noch einen letzten Blick auf seine Felsgrottenmadonna, winkte denen, die zufällig gerade in seine Richtung schauten, und verließ die Kirche.
»Es ist so weit!«, rief Salaì, der keuchend in die Sala delle Asse gerannt kam, wo Leonardo an der Deckenbemalung arbeitete. »Ich habe gerade gehört, dass die Franzosen die Grenze überschritten haben und sich auf Asti zubewegen.« Er blieb stehen und starrte mit offenem Mund zur Decke empor, die Leonardo mit wundersam ineinander verflochtenen Bäumen ausgeschmückt hatte. Ihre sehnigen Äste waren mit einer goldenen Schnur verbunden, die sich in einem Gewirr kunstvoller Knoten und Schlaufen durch das dichte Laubwerk zog, ohne irgendwo zu enden.
Leonardo schaute zu dem Jungen hinunter und sah sein staunendes Gesicht. »Es freut mich, dass du beeindruckt bist.«
»Wunderschön, aber… was hat diese endlose Schnur zu bedeuten?«
»Oh, ich gebe meinen Kunden gerne etwas mit, worüber sie sich den Kopf zerbrechen können«, antwortete Leonardo ernst.
»Symbolisiert sie vielleicht die mystische Verbundenheit der Bäume des Waldes?«
»Das wäre eine gute Erklärung. Aber was sagtest du gerade, sie marschieren auf Asti zu?«
Asti war ein gutes Stück von der Grenze mit Frankreich entfernt, es würde also wohl noch einige Wochen dauern, bis die Truppen es tatsächlich erreichten. Dann würde man sehen, welches ihr nächstes Ziel war. Mars gönnte ihm offenbar die Zeit, seine Arbeiten in Sforzas Palast fertigzustellen und eine etwaige Abreise vorzubereiten.
»Das ist noch weit von hier entfernt«, sagte er laut. »Und es steht ja gar nicht fest, dass sie wirklich nach Mailand kommen werden.« Aber er zweifelte. Mit Karl VIII. hatte Il Moro sich seinerzeit auf diplomatischem Wege arrangiert. Doch diesmal?
Die französischen Truppen marschierten weiter und nahmen die italienischen Verteidigungslinien wie eine Flutwelle, die ein Rattennest überspült. Im Hochsommer eroberten sie die Festung Arezzo und klopften damit an die Tore des Herzogtums. Mitte August fiel Valenza, wonach sie ihre Geschütze auf das weiter südlich gelegene Alessandria richteten, so dass es für kurze Zeit so aussah, als würden sie eine andere Richtung einschlagen und nicht nach Mailand vorstoßen. Das beruhigte die Gemüter in der Stadt aber keineswegs. Im Gegenteil. Gerade jetzt erreichte der Hass auf Il Moro , den dieser mit seiner Unerbittlichkeit schon so lange geschürt hatte, seinen Höhepunkt. Die gegen ihn gerichteten Kräfte nutzten die Gunst der Stunde, um das Volk zum Aufstand anzustacheln. Es kam zu schlimmen Krawallen, die im brutalen Mord am Schatzkanzler des Herzogs gipfelten. Er wurde beim Verlassen des Schlosses von einigen Maskierten von seinem Pferd gezerrt und mit Schwertern in Stücke gehackt, die man den Aalen im Schlossgraben zum Fraß vorwarf.
Noch am selben Abend entschied Il Moro, dass es höchste Zeit für ihn war, aus Mailand zu verschwinden. Er floh in der Nacht mit einer Handvoll Getreuer Richtung Innsbruck, wo er Zuflucht bei König Maximilian suchte.
Als hätten die französischen Truppen nur
Weitere Kostenlose Bücher