Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
meisten vermisse? Mathurina.«
Diese Worte ließen Leonardos Gedanken kurz abschweifen. Mathurina ist wirklich so etwas wie eine Ersatzmutter, dachte er. Und das nicht nur für Salaì. Er hatte mit ihr vereinbart, dass er sie nachkommen lassen würde, sobald er irgendwo wieder einen festen Platz gefunden hatte. Sie hatte schnippisch erwidert, dass sie sich das noch reiflich überlegen werde, denn es sei wahrhaftig kein Vergnügen, für Künstler arbeiten zu müssen. Doch beim Abschied hatte sie ihn unvermittelt auf die Wange geküsst.
Sie fanden ein Gasthaus im Norden der Stadt, wo es überraschend gut auszuhalten war.
Leonardo schickte von dort sogleich einen Kurier zum Schloss, bekam aber erst zwei Tage später Antwort. Er solle sich gleich nach Mittag im Schloss einfinden, wurde ihm mündlich ausgerichtet, und das war keine Bitte, sondern ein unmissverständlicher Befehl.
Leonardo fühlte sich einen Moment lang versucht, sofort nach Venedig weiterzufahren, doch noch stärker grauste es ihn vor einer weiteren langen Reise. Er ließ Salaì im Gasthaus zurück und machte sich zu Fuß auf den Weg ins Schloss.
Er war darauf vorbereitet, dass sich Isabella d’Este weiterhin dünkelhaft geben und ihn endlos warten lassen würde, doch zu seiner Überraschung erschien sie, kaum dass er in einem der Ledersessel des Salons Platz genommen hatte. Gleichwohl tat sie, als sei es eine Gunst, dass sie ihn empfing.
»Für mein Studierzimmer habe ich eine Reihe von Allegorien gesammelt«, erklärte sie nach einer förmlichen Begrüßung. »Unter anderem von unserem Hofmaler Andrea Mantegna und von Lorenzo Costa. Jetzt steht noch ein Porträt von mir auf meiner Wunschliste, gemalt von dem Florentiner Meister Leonardo da Vinci.« Sie sah Leonardo abwartend an.
»Ihr habt schöne Hände«, lautete Leonardos unerwartete Erwiderung. »Eigentlich eine Sünde, deren ungemein elegante Linie durch Ringe zu beeinträchtigen. Ein ganz kleiner mag noch angehen, als Anziehungspunkt für den Blick. Aber zu viel Schmuck lenkt nur ab.«
Isabella d’Este runzelte die Stirn. »Wollen Sie mir damit durch die Blume sagen, ich hätte einen schlechten Geschmack, Meister da Vinci?«
Leonardo schaute ein wenig erschrocken auf. »Im Gegenteil, Exzellenz, ich…« Er suchte sichtbar unbehaglich nach Worten. »Es ist nun einmal so, dass für mich grundsätzlich alles von der Natur Geschaffene schöner ist als der von Menschenhand gemachte Zierrat, so kunstvoll und kostbar er auch sein mag. Ich kann nichts dafür, das ist meine Art.«
Die Markgräfin nickte langsam und nachdenklich. »Meiner eigenen Gemütsruhe zuliebe will ich Ihre Worte als Kompliment auffassen.«
Leonardo hatte einfach nur eine Beobachtung geäußert, mehr nicht. Vorerst war ihm ganz und gar nicht danach, Isabella d’Este Komplimente zu machen. Auch hier, in ihrer eigenen Umgebung, trat unangenehm deutlich zutage, dass sie vollkommen anders war als ihre verstorbene Schwester. Wie er schon in Mailand festgestellt hatte, besaß sie tatsächlich viel von einem verwöhnten Mädchen, das es gewohnt ist, immer und überall seinen Willen zu bekommen. Und nun, da sie genügend Geld und Macht hatte, stellten sich ihr dabei wohl auch keine Probleme mehr.
Aber sie hat auch eine Schwäche, überlegte Leonardo. Ihre Vorliebe für schöne Dinge macht sie verführbar.
»In Mailand hatte ich den Eindruck, dass Sie nicht gerade darauf brennen, mich zu porträtieren.«
Dumm ist sie auch nicht, stellte Leonardo fest. Reich, mächtig, gescheit und dazu mit einem starken Willen ausgestattet – eine höchst gefährliche Kombination. »Das lag an den Umständen, ich hatte andere Aufgaben.«
Isabella d’Este streckte die Hand nach einem breiten Seidenband neben ihrem Sessel aus, das mit einem Glöckchen an der Decke verbunden war. »Möchten Sie etwas trinken, Meister da Vinci? Wein oder Bier?«
»Äh… Bier«, antwortete Leonardo. Er hatte einen trockenen Mund bekommen, und dagegen half Bier besser als Wein. Er ärgerte sich ein bisschen über sich selbst. Er war doch weiß Gott kein Grünschnabel mehr, wieso ließ er sich da von einer jungen Frau einschüchtern, die es zufällig gewohnt war, auf Wunsch bedient zu werden!
»Wie möchten Sie mich haben?«
Leonardo zuckte zusammen. »Pardon, ich verstehe nicht ganz.«
»Frisur, Kleidung, Pose, Hintergrund, Sie wissen doch wohl, was ich meine!«
Leonardo nutzte die kurze Unterbrechung durch einen Lakai, der den Römer Wein für die Marchesa
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