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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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das konnten wichtige Informationen sein angesichts des unberechenbaren Machthungers Borgias, der Florenz möglicherweise gefährlich wurde. Auf diese Idee hatte ihn kein anderer als Niccolò Macchiavelli gebracht, der offiziell für die diplomatischen Kontakte zu Borgia zuständig war.
    So ging Leonardo nun auf Sondierungsreise durch die Mitte Italiens, unauffällig und allein zu Pferd, wie es seine Instruktionen verlangten. Er sollte vor allem Schwachstellen in der Befestigung aufdecken, die größere militärische Berücksichtigung finden mussten, und dazu detaillierte Pläne und Karten zeichnen. Ein vom Herzog unterzeichnetes Schreiben öffnete ihm dabei alle Türen.
    Freilich hielt er sich nicht immer sklavisch an seinen militärischen Auftrag. Im Apennin bei Buriano zum Beispiel war er so überwältigt von der Schönheit der imposanten Felslandschaft, dass er für einige Stunden die herrliche Aussicht genoss. Er suchte sich ein höher gelegenes Fleckchen, von wo er auf das Arnotal mit der eleganten fünfbögigen Brücke hinabblicken konnte, und griff zu seinem Skizzenbuch. Wenn er je wieder malen sollte, würde das einen schöneren Hintergrund abgeben, als er ihn sich je hätte ausdenken können.
    Er hörte erst auf zu zeichnen, als es zu dämmern begann, und da war es schon zu spät, um sich noch vor Einbruch der Nacht eine Unterkunft suchen zu können. Also legte er sich unter freiem Himmel zur Ruhe, auf einem moosbedeckten Stückchen Erde inmitten der Felsen, die Augen auf den funkelnden Sternenhimmel gerichtet, der eine so magische Anziehungskraft hatte, dass er ganz benommen wurde.
    Diese Erfahrung war nicht neu für ihn. Die Sterne hatten von jeher eine große Wirkung auf ihn ausgeübt. Er nahm an, dass sein Empfinden mit dem vergleichbar war, was andere als einen Moment religiöser Ergriffenheit beschreiben würden, dieses Gefühl, von der Erde losgelöst zu sein und die Unermesslichkeit der Schöpfung zu erleben. Eine Erfahrung, die diesmal in einen langen, friedlichen Traum überging.
    Leider war das Erwachen weniger idyllisch. Leonardo fühlte sich steif wie ein knorriger alter Ast, und vom Liegen auf dem harten Untergrund tat ihm der ganze Körper weh. Als er sich mühsam erhob, stöhnte er unweigerlich laut auf. Er erschrak. In der Regel verstand er es recht gut, seine körperlichen Schwächen zu überspielen. Die Unterdrückung und Vertuschung von Zipperlein, die sich mit den Jahren einstellten, war ihm genauso zur Gewohnheit geworden wie die Vermeidung des Blicks in den Spiegel.
    Er biss die Zähne zusammen, um nicht erneut einen Schmerzenslaut auszustoßen, und stieg in den Sattel. Es lag noch ein Abstecher nach Piombino vor ihm, bevor er sich in Urbino erstmals mit dem Herzog treffen würde.
    Cesare Borgia ließ sich einige Tage Zeit, Leonardo zu empfangen, nachdem er im Palazzo Montefeltro in Urbino eingetroffen war, wo der Herzog gerade weilte. Als er Borgia endlich zu sehen bekam, war er überrascht. Überrascht, weil er nun feststellte, dass er ihm schon einmal begegnet war. Das musste vor einigen Jahren in Mailand gewesen sein, wie er sich nach kurzem Nachdenken entsann, als Borgia im Gefolge von Ludwig XII . in die Stadt eingezogen war.
    »Der unvergleichliche Leonardo da Vinci hier in Urbino, wer hätte das gedacht!«, sagte Borgia zur Begrüßung. »Wenngleich Urbino als Stadt der Künste nicht zu unterschätzen ist.« Er lud Leonardo ein, auf einem der reichverzierten Stühle an dem Ebenholzschreibtisch Platz zu nehmen, an dem er selbst saß. An je einem kleinen Stehpult am Fenster beugten sich zwei Schreiber über ihre Arbeit.
    Leonardo öffnete seine Tasche und nahm die Skizzen und Aufzeichnungen heraus, die er unterwegs gemacht hatte. Er legte den kleinen Stapel auf den Schreibtisch, bevor er sich setzte.
    Während Borgia die Papiere durchblätterte und da und dort einige Worte entzifferte oder eine Zeichnung näher betrachtete, hatte Leonardo Gelegenheit, ihn eingehender zu studieren. Sein kantiges Gesicht mit Kranzbart schien auf den ersten Blick eher zu einem Geistesmenschen im Studierzimmer zu passen als zu einem skrupellosen Kriegsherrn. Bis er aufschaute und seinen Besucher fixierte.
    Der Blick eines Raubtiers, stellte Leonardo ein wenig erschrocken fest. Scheinbar unbeteiligt, doch in Wahrheit wachsam und bereit, urplötzlich zuzuschlagen. Und ganz ohne Schuldbewusstsein, da ein Tier ja kein Gewissen hat.
    »Ihre Handschrift ist… äh… wie soll ich sagen…?«
    »Es ist eine

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