Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
fühlte sich Leonardo nun, da der Gouverneur es mit großem Gefolge bewohnte, eher eingeengt. Er hatte schon immer viel Raum zum Atmen gebraucht, und der fehlte ihm jetzt. D’Amboise stellte ihm daher auf seine Bitte hin leihweise ein Haus unweit des Schlosses zur Verfügung, das sogar genügend Platz für eine bescheidene Werkstatt bot. Leonardo stellte zwei Gesellen und einen Gehilfen ein, vor allem aber auch erstmals einen Sekretär. Er hieß Francesco Melzi und war ein blutjunger Mailänder Edelmann. Leonardo konnte sich all das leisten, da der französische König und sein Statthalter ihn großzügig bezahlten. Darüber hinaus bekam er die Wasserrechte an einem Abschnitt der Mailänder Kanäle geschenkt, eine zusätzliche Einnahmequelle, die ihm bis an sein Lebensende erhalten bleiben sollte.
Francesco Melzi kümmerte sich von nun an nicht nur um die Leonardo lästige Bürokratie und Korrespondenz, sondern er machte sich auch an die Reinschrift der für die meisten unleserlichen Notizen Leonardos in schöne Kursivlettern. Gleichzeitig ordnete und bündelte er die Aberhunderte von Seiten, die Leonardo im Laufe der Jahre mit allerlei Beobachtungen, Überlegungen und technischen Entwürfen gefüllt hatte. Eine gewaltige Arbeit, die ihn wohl auf Jahre hinaus beschäftigen würde.
Auch eine Haushälterin gönnte Leonardo sich jetzt wieder. Sie hieß Sofia und war, Zufall oder nicht, eine schon etwas reifere und recht herrische Person. Damit erinnerte sie Leonardo so sehr an seine alte Mathurina, dass er auch Sofia kurzerhand so nannte.
In dieser Zeit suchte Salaì Leonardo wieder einmal auf, was selten geschehen war, seit sie gemeinsam nach Mailand zurückgekommen waren. Salaì hatte zwar vorgegeben, er müsse im Haus am Weinberg nach dem Rechten sehen, doch es war offensichtlich, dass er nicht in Florenz bleiben wollte, weil er dort stellvertretend für Leonardo den Unmut der Signoria über das nicht fertiggestellte Fresko von der Anghiarischlacht über sich hätte ergehen lassen müssen. Er war deswegen nicht gut auf Leonardo zu sprechen gewesen.
Leonardo führte ihn in sein Atelier, wo jetzt am Abend niemand mehr arbeitete.
Verblüfft stand Salaì vor nicht weniger als drei Staffeleien mit Tafeln, die allesamt Frauen in den Vordergrund rückten: Anna Selbdritt , Leda sowie ein Portät einer auf den ersten Blick wenig außergewöhnlichen Dame.
Salaìs Blick blieb auf diesem letzten Bildnis ruhen. »Wer ist das?«
Leonardo beobachtete ihn von der Seite. »La Gioconda.«
»Und wer ist sie?«
»Die Frau eines florentinischen Kaufmanns.«
»Sehr auskunftsfreudig bist du nicht.« Salaì drehte die Staffelei ein wenig herum, so dass das Licht in einem anderen Winkel auf die Tafel fiel. »Dieser Ausdruck, dieses Lächeln…«, er sah Leonardo an, »als kenne sie Geheimnisse, von denen niemand sonst etwas weiß.«
Leonardo nickte. »Trifft das aus unserer Sicht nicht auf die meisten Frauen zu?«
»Ist sie wirklich eine Kaufmannsgattin? Auf mich wirkt sie eher wie eine Kreuzung aus Heiliger und Hure.«
Vielleicht ist sie alles drei, dachte Leonardo, den die treffende Beobachtung Salaìs bestürzte. Und vielleicht liegt darin die verborgene Wahrheit, die sie manchmal in sich hineinlächeln lässt.
»Hast du was mit ihr?«
Leonardo fuhr zusammen. »Kannst du denn an nichts anderes denken?«
Salaì grinste. »Das sind die schönsten Gedanken. Und wo die Wirklichkeit zu wünschen übriglässt, muss die Phantasie aushelfen.« Letzteres klang ein wenig verbittert.
Leonardo starrte in Lisas Augen, die er mit ungewöhnlicher Sorgfalt porträtiert hatte. Ihm war, als schaue sie nur ihn an. Ein klein wenig spöttisch, aber auch mit einem Hauch von Traurigkeit. Hatte er etwas mit ihr? Wann konnte man davon sprechen? Oder wann war der Punkt erreicht, da eine nicht zu beanstandende Sympathie in eine unstatthafte Beziehung überging? Wer bestimmte das? Wer bestimmte, ob eine Beziehung statthaft war oder nicht?
»Sie ist ein Modell, mehr nicht«, sagte Leonardo schroff. Aber er musste sich fragen, warum das wie eine Ausrede klang.
»Es ist etwas Wundersames an ihr, ein Sog, der die Aufmerksamkeit bannt. Ist sie auch in Wirklichkeit so?«
»Könnten wir jetzt bitte von etwas anderem reden?«
»Warum wolltest du mir diese Bilder denn zeigen?«
»Du solltest sehen, wie viel ich arbeite.«
»Keine dieser Tafeln ist ganz fertig. Vollendest du überhaupt noch irgendetwas?«
Leonardo war den geringschätzigen Ton Salaìs
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