Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
Vom Netzwerk:
Ihr zweifellos wissen werdet, wochenlang krank gewesen und…«
    »Wochenlang? Ich warte schon eine Ewigkeit auf meine Tafel!«
    »Wie Ihr zweifellos auch wissen werdet, hatte ich zudem alle Hände voll zu tun mit diversen technischen Arbeiten. Wir arbeiten an einem komplizierten Projekt zur Bündelung der Sonnenwärme mittels Hohlspiegeln. Damit könnte so viel Kraft in einem Punkt versammelt werden, dass man Wasser zum Kochen bringt, und…«
    »Ach, hören Sie doch auf mit Ihren Phantasiegeschichten!«, bellte der Papst. »Sie haben sich wie jedermann an Ihre Abmachungen zu halten, Punktum! Wenn wir aus Florenz zurück sind, gebe ich Ihnen noch genau zehn Wochen Zeit, mir ein fertiges Bild von Johannes dem Täufer zu liefern, und zwar in der Qualität, die man von einem Meister Ihres Könnens erwarten darf.«
    Leonardo wollte sich zuerst weiter rechtfertigen, doch dann drang zu ihm durch, was der Papst zuletzt gesagt hatte. »Äh, Florenz, Eure Heiligkeit?«
    Leo X. nickte ungeduldig und setzte sich wieder. »Sie sollten zu meinem Gefolge gehören, wenn ich in meine Geburtsstadt reise, um König Franz I. zu treffen. Sie könnten vielleicht bei den Festlichkeiten assistieren. Aber mir sind jetzt doch ernstliche Zweifel gekommen. Ich muss es mir noch überlegen.« Er machte eine ungehaltene Bewegung mit dem Kinn zur Tür und beugte sich wieder über seine Papiere.

33

    Es gibt die Hölle also doch, dachte Leonardo. Man braucht nicht einmal tot zu sein, um sie zu erfahren. Oder war er womöglich schon tot? Das fragte er sich hin und wieder allen Ernstes.
    Seit Wochen zuckelten und holperten sie nun schon über schlechte Wege, und dazu kam die fortwährende Angst vor Strauchdieben und, mehr noch vielleicht, vor möglichen Häschern des Papstes, die ihn ergreifen und nach Rom zurückbringen könnten.
    Vom Liegen auf dem harten Boden des Wagens mit nicht mehr als ein paar Decken als Unterlage taten Leonardo sämtliche Glieder höllisch weh. Aber aufrecht zu sitzen wäre womöglich noch schlimmer gewesen. Auch die Übernachtungen in Gasthäusern waren alles andere als erholsam, da die Betten nur selten gut und sauber waren. Und mehrfach hatten sie nicht einmal das gehabt, sondern unter freiem Himmel nächtigen müssen, den Unbilden des Wetters preisgegeben. Noch nie war Leonardo so sehr für eine impulsive Entscheidung bestraft worden, und dennoch dachte er nicht eine Sekunde daran, kehrtzumachen und in das komfortable Belvedere zurückzufahren.
    Wie Diebe in der Nacht hatten sie sich davongeschlichen, er, Melzi und Mathurina, wie sie nun »offiziell« genannt wurde. Er hatte sich nicht einmal von seinen Mitarbeitern verabschiedet, weil er fürchtete, dass dem Papst etwas zu Ohren kommen könnte. Nach Giulianos plötzlichem Tod hatte Leonardo nichts mehr in Rom gehalten.
    »Ich will hier nicht sterben und begraben werden«, hatte er Melzi anvertraut, bevor sie abreisten. »Nicht in Rom, das ist der falsche Ort.«
    Melzis Protest, dass er noch gut zwanzig Jahre vor sich haben könnte, ließ ihn unbeeindruckt. Er wusste einfach, dass er im Herbst seines Lebens angelangt war, das spürte er mit jeder Faser.
    Da auch Mailand und Florenz keine Option waren, hatte er sich entschieden, die Einladung von König Franz I. anzunehmen und nach Amboise zu ziehen. Die berechtigte Aussicht darauf, dank dieses wahrhaft großen Bewunderers und Gönners in Frankreich Ruhe und Sicherheit zu finden, hatte ihn die Schrecknisse der weiten Reise in Kauf nehmen lassen.
    Der Wagen hielt, und Melzi drehte sich auf dem Bock um. »Wir können das Schloss sehen, dort hinten auf dem Felsen.«
    »Endlich«, brummte Leonardo. Er stützte sich mühsam auf den Ellbogen, um an Melzi vorbei in die Ferne zu schauen. »Tatsächlich, das muss es sein.« Er konnte es kaum glauben. »Ich bin noch nie so froh gewesen, ein Schloss zu sehen.«
    »Da bist du nicht der Einzige«, sagte Mathurina. »Ich habe schon seit Tagen kein Gefühl mehr im Hintern.« Demonstrativ verlagerte sie ihr Gewicht von der einen auf die andere Gesäßhälfte. Der Wagen ächzte, und das Pferd schnaubte nervös.
    »Aber die schlechte Nachricht ist: Vor Einbruch der Dunkelheit schaffen wir es nicht mehr dorthin«, sagte Melzi mit Blick auf den Stand der von hohen, dünnen Wolken verschleierten Sonne. »Auf keinen Fall. Und wir fahren schon seit geraumer Zeit durch Niemandsland, kein Haus weit und breit, geschweige denn ein Gasthaus.«
    »Mathematisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit,

Weitere Kostenlose Bücher