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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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wussten.
    Nur Pietro Vannucci, der schon erfahrener und länger in der Werkstatt war als Leonardo, hatte Probleme damit, dass der Neuling immer größere Beachtung fand.
    »Wenn du genauso schnell malen lernst, wie auf dem Ding da zu fiedeln, erwartet dich noch eine große Zukunft«, höhnte er einmal.
    »Ach, ich habe keine großen Ambitionen«, entgegnete Leonardo. »Mir genügt’s, wenn ich besser male als du.« Er genoss das Gekicher der anderen und das böse Gesicht Vannuccis, der in grimmigem Schweigen den Raum verließ.
    Doch wenige Stunden später, als Leonardo im Garten hinter der bottega Wasser gelassen hatte, packte Vannucci ihn brutal bei seinem Wamskragen, bevor er wieder hineingehen konnte. Er schien auf einen geeigneten Moment gewartet zu haben, denn außer ihnen war niemand draußen.
    »Nimm dir ja nicht noch einmal so etwas gegen mich heraus, du Grünschnabel, sonst schlag ich dich windelweich!«, schnauzte er und stieß Leonardo hart mit dem Rücken gegen die Gartenmauer.
    Leonardo fühlte die Wut glühend heiß in sich aufwallen, aber Vannucci war größer als er, und außerdem duldete Verrocchio keine Händel unter seinen Schülern und Mitarbeitern. Wer es wage, eine Rauferei anzuzetteln, könne sich gleich eine andere Werkstatt suchen, warnte er jeden Neuen. Also verkniff sich Leonardo eine scharfe Replik, wohl wissend, dass er damit alles nur noch schlimmer machen würde.
    Als keine Reaktion von ihm kam, ließ Vannucci ihn los und wischte sich mit verächtlicher Gebärde die Handflächen an der Hose ab. »Bauernlümmel!«, schimpfte er, ließ Leonardo stehen und ging ins Haus zurück.
    Leonardo atmete ein paarmal tief durch, um sich zu beruhigen, und ging dann ebenfalls wieder hinein.
    Ihm fiel auf, wie emsig alle auf einmal arbeiteten, bis er sah, dass sie einen Besucher hatten. Ein hochgewachsener, schon etwas älterer Mann mit schlohweißem Haar, der gleichwohl die Haltung und Gestalt eines Jünglings hatte. Er stand an der Tür und ließ den Blick durch die Werkstatt schweifen, bis er ihn bei Leonardo verweilen ließ.
    »So, so, wieder ein Neuling? Wie heißt du?«
    »Ich bin Leonardo da Vinci, Herr.« Der durchdringende Blick des Mannes schüchterte ihn ein wenig ein. »Schüler der Malerei«, ergänzte er noch eilig. Erst jetzt sah er das schwarze Pferd, das draußen vor dem Fenster angebunden war. Es starrte herein, als nehme es Anteil an dem, was sein Herr hier drinnen zu erledigen hatte.
    »Dann hast du Glück, Leonardo. Mit Verrocchio hast du den besten Lehrmeister weit und breit. Obwohl er gegenwärtig offenbar nur selten persönlich hier anwesend ist.«
    »Meister Verrocchio arbeitet gerade in…«
    Der andere winkte ab. »Ja, ja, ich weiß, er hat furchtbar viel zu tun. Aber ich war hier mit ihm verabredet. Komm doch mal zu mir ins Licht bitte.«
    Es dauerte einige Sekunden, bis Leonardo begriff, dass diese Bitte an ihn gerichtet war.
    »Tu, was er sagt!«, zischte Marco Morano ihm zu. »Das ist Leon Battista Alberti!«
    Leonardo hatte nicht die geringste Ahnung, wer Leon Battista Alberti sein mochte, doch die Autorität, die der Unbekannte ausstrahlte, ließ ihn gehorchen.
    Als er näher getreten war, betrachtete Alberti ihn in einer Weise von Kopf bis Fuß, dass es fast genant war. Danach fasste er ihm mit der Hand unters Kinn und drehte seinen Kopf in alle Richtungen, während er jedes Detail seines Gesichts zu studieren schien.
    »Schöne, schlanke Gestalt, edle und ebenmäßige Gesichtszüge.« Alberti nickte zufrieden und strich Leonardo geradezu zärtlich eine Locke hinter das Ohr, bevor er sein Kinn wieder losließ. »Ein perfektes Modell.«
    »Modell, Herr?«
    »Hast du noch nie für Statuen oder Gemälde Modell gestanden? Das erstaunt mich sehr. Hat denn noch niemand deine Schönheit bemerkt? Nicht einmal Verrocchio?«
    Leonardo war sich der anderen hinter sich peinlich bewusst. Er konnte sich ihr Grinsen nur zu gut vorstellen.
    Die Peinlichkeit wurde von Verrocchio vertrieben, der in offenkundiger Eile die bottega betrat. Er blickte verwundert auf das Tête-à-Tête zwischen seinem Besucher und Leonardo, die nahe der Tür im schräg hereinfallenden Sonnenlicht standen. Bis Alberti ohne weitere Einleitung sagte: »Ich habe dein Modell für meinen David gefunden, mein lieber Andrea.« Er zeigte auf Leonardo. »Einfach perfekt.«
    »So?« Verrocchio betrachtete Leonardo nun seinerseits mit größerer Aufmerksamkeit, als er es je getan hatte. »Fürwahr, nun, da du es

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